Problemstellung - welcher Zweck wird verfolgt?


hM ( "herrschende Meinung" ):
Die Einreise eines Staatsbürgers in unseren Rechtsstaat in Gestalt eines Zivilgerichts ist gem. § 56 ZPO bei unausräumbaren Zweifeln des Gerichts am Geisteszustand einer Partei  zu verweigern . . .  (Richterrecht)

aktuelle Rechtslage: 

Die gerichtsseitigen "Zweifel" am Geisteszustand einer Partei sind vom Gericht (zunächst) nicht (!) zu begründen, denn die Rechtsordnung sieht kein unmittelbares Beschwerderecht gegen sog. Zwischenverfügungen vor. Ebensowenig besteht nach h.M. ein Anspruch auf ein Rechtsgespräch. 

historische Wurzel:

Der § 56 ZPO ist ein Relikt des wilhelminischen Obrigkeitsstaates. Der Rechtszustand, also die Legitimität1 des § 56 ZPO, muß von Verfassung wegen hinterfragt werden, dies umso mehr vor dem Hintergrund der deutscher NS-Rechtsgeschichte, wo Tatstrafrecht von Täterstrafrecht abgelöst wurde, in Verbindung mit der unguten Tradion der spezifisch deutschen psychiatrischen Typenlehre.
  

I. Definitionen:
Unter Prozeßfähigkeit versteht man die Fähigkeit, einen Zivil-Prozess selbst zu führen oder durch selbst gewählte Vertreter führen zu lassen, kurz: Prozeßfähigkeit ist die (volle) prozessuale Handlungsfähigkeit eines vor Gericht Stehenden (Motive zum Entwurf der CPO). Umgekehrt gilt: Einem Prozeßunfähigen kann Gehör nur durch seinen gesetzlichen Vertreter gewährt werden. (Ein Restanspruch auf rechtliches Gehör, der sich aus der Menschenwürde des Prozeßunfähigen ableitet, verbleibt diesem allein dann, wenn der Staat in seinen persönlichen Lebensbereich eingreift, wie etwa im Streit über seine Prozeßfähigkeit.)

Wonach nun bemißt sich die Prozeßfähigkeit?
Die Fähigkeit, vernünftig zu handelt, ist Voraussetzung von Urteilsfähigkeit. Urteilsfähigkeit im Rechtssinne setzt Willensfreiheit voraus. Die Frage nach der Prozeßfähigkeit beantwortet sich folglich durch die Frage nach (hinreichender) Vernunft sowie nach der Freiheit
des Willens als Vorausbedingungen der freien Entschlußfähigkeit (prozessualer Handlungsfähigkeit). Ist ein nach freiem Ermessen des Richters zu bestimmender "juristischer Schwellenwert" überschritten, gilt die Person als unfähig zu einer vernünftigen, selbständigen Rechtswahrung. 

Die Abgrenzung zwischen Verstand und Vernunft erfolgt gemeinhin im Kantischen Sinne: der Verstand ordnet die Sinneseindrücke. Verstand (auch: Ratio) verbindet sich dabei mit Logik. Vernunft jedoch fordert darüber hinaus ein Mehr. 
Wenn der deutsche Jurist von "vernünftigem" prozessualen Handel spricht, stellt sich gleichwohl die Frage, was er mit diesem unbestimmten Rechtsbegriff  - Prozessfähigkeit (§ 51 ZPO), Verfahrensfähigkeit (§ 9 FamFG) und Verhandlungsfähigkeit sind Rechtsbegriffe, also keine medizinische Diagnosen - meint und wie er diesen auslegt. 

Eigentlich sollten gerade Richter ethische Kategorien im Blick haben, etwa im Sinne des Kategorischen Imperativs. In der Praxis jedoch entscheidet ein Richter nach Maßgabe seines persönlichen Vernunftsniveaus, wenn nicht sogar entsprechend seines persönlichen Interesses an der "Funktions"-Fähigkeit der Institution Gerichtsbarkeit. Denn grundsätzlich ist juristisches Handeln interessegeleitet und kann somit im Einzelfall vernunftgeleitetem Handeln diametral entgegenstehen. Grenzen ergeben sich idealiter allenfalls durch verfassungskonforme Auslegung. 

Obgleich die Beziehungsfelder zwischen medizinisch und juristisch "krank" inkompatibel sind, sind es in Zweifelsfällen doch die Psychiater, die bei der Frage nach der Prozeßfähigkeit eines Probanden dessen Fähigkeit zu selbstbestimmtem und folgenorientierten Handeln untersuchen und faktisch die Grenze zur Krankheit auch im juristischen Sinne festlegen. Somit verschwimmen die Kompetenzgrenzen: die pflichtgemäße Überprüfung psychiatrischer Gutachten durch den Richter führt in der Praxis nur höchst selten zu Mängelfeststellungen und, folglich, zu Nachbegutachtungen. Die Reputation des Gutachters reicht den Gerichten.

In der Schweiz stellt man bescheidenere, dafür jedoch konkretere Anforderungen: dort geht es lediglich um Verstandes- und Willensdefekte. Gemäß Art. 13 des Schweizer ZGB besitzt die Handlungsfähigkeit nur derjenige, der auch "urteilsfähig" ist. Die Prüfung der Urteilsfähigkeit gliedert sich in vier Abteilungen: Realitätsprüfung, Finalitätsprüfung, Diskriminationsfähigkeit und Realisierungsfähigkeit. Ein Schweizer Sachverständiger würde wohl anhand dieses Rasters die prozessuale Handlungsfähigkeit = Prozeßfähigkeit überprüfen. Indes: Vergleichbares existiert in Deutschland  nicht.

Eine "Erforschung" der Persönlichkeit" erfolgt nicht nur im Zivilprozeß, sondern auch   
im Strafrecht:  bei Jugendlichen etwa § 38§ 43 JGG  (Jugendgerichtshilfe; Entwicklungspsychologen und Jugendpsychiater) oder bei Volljährigen gem. § 244 Abs. 2, 246a StPO (Psychiater), sowie
- im Familienrecht im Rahmen von Sorgerechts-Entscheidungen (Psychologe exploriert den "wahren Kindeswillen" sowie ggf. die "Erziehungseignung" der Eltern),
- im Straßenverkehrsrecht im Rahmen der sog. MPU (Medizinisch-Psychologische Untersuchung) als Eignungsprüfung zum Führen eines KFZ und
- in der Sicherungsverwahrung anläßlich der turnusmäßigen Begutachtung gem. § 67e StGB. Der Skandalfall Mollath gab diesbezüglich Anlaß zu Reformbemühungen, die für unser Thema jedoch noch ausstehen. 

Eine Teilnahmeverweigerung an diesen Persönlichkeitsausforschungen ist zwar zulässig, sie wird jedoch zum Nachteil des Verweigernden gewichtet. Hierdurch wird mittelbar ein Zwang zur Teilnahme ausgeübt.  



II. Ist der Richter wirklich unparteilich?  
Anders als im Strafrecht, wo der Staatsanwalt als Vertreter der Öffentlichkeit Anklage aufgrund hinreichenden Anfangsverdachts Anklage erhebt und der Richter als neutraler Dritter fungiert, anders als im Familienrecht, wo der Richter gleichfalls als 'neutraler Dritter' zwischen den Parteien 'im Kindeswohl' entscheiden muß, verliert der Richter im Zivilprozeß (=Privatrecht) seine Stellung als "Ringrichter" (so Seibel NJW 2014, 1633) zwischen den beiden Boxern (=Parteien), wenn es um die Zulassungsvoraussetzungen geht: Faktisch wird der Richter zum Prozeßgegner einer mit richterlichen Zweifel an ihrem Geisteszustande überzogenen Partei. 

Da nun aber das Gericht immer auch die Grundrechte des mit seinen, also höchstpersönlichen Zweifeln Überzogenen zu wahren hat (im NS-Jargon zählten Richter zu den 'Rechtswahrern'), insoweit also eine Garantenstellung innehält, wird es in eine schizophrene Situation versetzt, denn  

- Einerseits handelt das Gericht, das gemäß § 56 Abs. 1 ZPO den Mangel der Prozeßfähigkeit einer Partei "von Amts wegen" zu berücksichtigen hat, im öffentlichen Interesse. Der Richter vollzieht einen Hoheitsakt als Offizialtätigkeit, dies erklärtermaßen auch im Dienste der 'Funktionsfähigkeit' der Institution Gerichtsbarkeit. "Öffentliches Interesse" bedarf bei richterlicher Rechtsfortbildung als ein unbestimmter Rechtsbegriff der verfassungskonformen Auslegung, ganz besonders aber für die Frage der Prozeßfähigkeit eines Rechtssubjektes!

- Wenn auch zunächst die Amtsprüfung (allein) "aus Gründen des öffentlichen Interesses" (so etwa eine Kommentierung von 1878) erfolgte, soll es heute auch um den Schutz des Individuums, d. h. des Betroffenen, gehen - dies analog zum Zweck der Entmündigung. Die Einschaltung eines psychiatrischen Sachverständigen soll also (auch) dem Schutz der betroffenen Partei dienen, im Sinne von "Schutz vor sich selbst" - zugleich jedoch auch, wie gehabt, dem Schutze des Gegners und, nicht zuletzt, dem Schutz der Institution Gerichtsbarkeit. Der Sachverständige soll die Zweifel des Richter veri- oder falsifizieren. Sein Gutachten ist also v. a. Mittel der Selbstkontrolle des Richters. 

Diese offenkundige Zweckdivergenz gleicht der Quadratur des Kreises. So ergab die einzigartige Untersuchung von Werst u. Hemminger2, daß Richter Sachverständige zumeist zum Zwecke der Absicherung des bereits feststehenden(!) Urteils einschalten. Wenn Crefeld (1983) "von einer bewußt angestrebten Abschreckungswirkung der Entmündigung" ausgeht, so gilt dies sicherlich auch für das Damoklesschwert Prozeßunfähigkeit. Auch diesbezüglich ist mit einer enormen Streubreite der Anwendungshäufigkeit zu rechnen wie bei Entmündigungen: 1966-1978 das Risiko, entmündigt zu werden, für einen Hamburger 35mal so groß wie für einen Saarländer (Stöcker, Amtsvormund 8/82 Sp.719 ff).  

Zweifel an der Prozeßfähigkeit entstehen im Kopfe des konkreten Richters, nicht unbeeinflußt von dessen persönlichem Interesse, das darauf gerichtet ist, einen unbequemen Kläger los zu werden. Umso schwerer dürfte es ihm daher fallen, der Pflicht zu genügen, die Belange des Gemeinwohls gegenüber dem Individualinteresse, v. a. jedoch gegenüber dem Grundrecht einer Partei auf Justizgewähr und damit also auf verfassungskonforme Behandlung abzuwägen. 

Entscheidend ist die Frage der Grenzziehung zwischen 'fähig' und 'unfähig'. Gemeinhin maßgebende kollektive Wertvorstellungen lassen sich kaum ausmachen. Der Versuch, sich hinsichtlich der Grenzziehung in der psychiatrischen Fachliteratur Orientierung zu verschaffen, scheitert daran, daß die neuere Literatur zwar eindringlich davor warnt, leichtfertig unbequemen Querulanten mithilfe psychiatrischer Begutachtung "unschädlich" zu machen (s. n. Langelüddeke/Bresser oder aktuell etwa Nedopil), die Grenzziehung aus konventionell psychiatrischer Sicht gleichwohl unverändert zwischen gesund/krank verläuft. Die Gefahr, leichtfertig einen 'Wahn' zu diagnostizieren, liegt auf der Hand. Das Gewicht der Betroffenheit, womöglich durch falsche Vorbehandlung durch das Gericht selbst, bleibt fast regelmäßig außerhalb des Fokus der beigezogenen forensischen Psychiater.

In der Praxis entscheidet der medizinisch-psychiatrische (nicht der in manchen Fällen sicherlich geeignetere psychologische) Sachverständige nach medizinischen Kriterien, ohne den Anteil des Gerichts mit in den Blick zu nehmen. Dies führt zu der (noch niemals ernsthaft bestrittenen) Erkenntnis, daß die Auswahl des Sachverständigen durch den konkreten Richter in den hier in Rede stehenden Zweifelsfällen im Ergebnis entscheidend ist, nicht zuletzt auch deshalb, weil als weitere Gefahr die Überidentifikation des Sachverständigen mit dem Richter beschrieben wurde (Maisch, MSchrKrim 1973, 191). Die Pflicht des Richters, zwecks Gewinnung eines Maßstabes für "vernünftiges Pozessverhalten" in die Figur des verständigen, durchschnittliche Dritten zu schlüpfen, wird vor diesem Hintergrund wohl zumeist verletzt! 


III. Zum Zulassungsverfahren. 
Wird vor dem Justizgewährungsanspruch (ein subjektives öffentliches Recht) etwa mißbräuchlich die Hürde einer psychiatrischen Exploration errichtet, ist dies in doppelter Beziehung grundrechtsrelevant, denn In jeder psychiatrischen Untersuchung wird der Proband zum ObjektHinzu kommt: Bereits von Amts wegen erhobene gerichtsseitige "Zweifel" am Geisteszustand eines mündigen Bürgers verletzen, da parteiöffentlich, sein Grundrecht auf DatenschutzUnd nicht zuletzt gilt: bereits amtswegig erhobene bloße Zweifel am Geisteszustand eines Menschen zeitigen regelmäßig negative Auswirkungen in der privaten und beruflichen Sphäre. 

Die derzeitige Rechtslage ist hoch problematisch, denn: Wer sich der psychiatrischen "Exploration" nicht stellt, verliert sein Grundrecht auf Justizgewähr. Ein Rechtsmittel gegen Beweisbeschlüsse, seien sie auch noch so unbegründet, existiert derzeit nicht. Ein Betroffener hat also nur die Wahl zwischen Pest und Cholera3Dies muß erstaunen, denn selbst im Strafrecht werden entwürdigenden Zwangsmaßnahmen geregelte Grenzen gesetzt; zudem gilt der Satz "nulla poena sine lege". Hochproblematisch ist auch die Tatsache, daß der Gutachter vom Gericht bestimmt wird, anders als in der staatlichen sozialpsychiatrischen Fürsorge, wo dem vermeintlich psychisch Kranken immerhin das Recht eingeräumt wird, alternativ einen Nervenarzt des Vertrauens aufzusuchen, so geschehen im Falle des R. Hoffmann, s. a.  

IV. Zwischenbemerkung:
1. Üblicherweise werden Zweifel an der Prozessfähigkeit von einer der Parteien auf sich selbst bezogen erhoben. Besonders häufig, insbesondere in Familienverfahren4, äußert die Gegenpartei Zweifel an der Prozeßfähigkeit des Klägers. Die Gerichte machen sich solche Anwürfe selten zu eigen. Interessant ist, daß wenn Kläger in sozialrechtliche Verfahren (Rentenbegehren) selbst Prozeßunfähigkeit behaupten, dies geflissentlich (vermutlich, um nicht Rentenneurotikern auf den Leim zu gehen) übersehen wird, siehe etwa BSG vom 30.9.2009

2. Nachfolgend soll es ausschließlich um die - selteneren - Fälle gehen, in denen „Zweifel“ an der Prozessfähigkeit seitens des Gerichts erhoben werden. In diesen Fällen wird das Gericht (meist ein Einzelrichter), wie oben ausgeführt, unmittelbar zum Verhandlungsgegner der psychiatrisierten Partei und gerät in eine Doppelrolle: Einerseits unbeteiligter Dritter, verfolgt es andererseits natürlich auch persönliche Interessen, nämlich den Wunsch, sich einer unliebsamen Partei zu entledigen.

3. Behandelt werden sollen zudem ausschließlich diejenigen Fälle, in denen die "Zweifel" gerichtsseitig in einem bereits laufenden Prozeß erhoben wurden. Dabei soll es nicht um "offensichtliche" Fälle von Prozeßunfähigkeit gehen (in denen Gerichte ausnahmsweise - Beispiel: OVG NRW 20.03.2012 -  ohne Hilfestellung von Psychosachverständigen entscheiden können), sondern allein um die Zweifelsfälle, in denen die Richter in Ausnutzung der völlig offenen Vorschrift des § 56 ZPO auch tatsächlich geistig "normale"  Prozessparteien willkürlich mit "Zweifeln" überziehen können. 

4.
 Strittig ist, ob es nicht neben der Psychiatrisierung weniger in das Persönlichkeitsrecht eingreifende Wege geben könnte, die Justizgewährung zu versagen. In Fällen offensichtlichen Rechtsmißbrauchs könnten die Gedanken der §§ 226, 242 oder 826 BGB (Schikaneverbot, Verstoß gegen den Grundsatz von 'Treu und Glauben, Verbot sittenwidriger Schädigung) auch im Verfahrensrecht greifen. Baumgärtel (ZZP 1973, 353ff) plädierte für die Ausweitung dieser Generalklauseln, weil er das Institut des Rechtsschutzinteresses zur Abwehr unredlicher "funktionswidriger" Klagen - hier insbesondere Scheinprozesse - für zu schwach hielt. Querulantenklagen seien, so Baumgärtel, demgegenüber ein besonderes Spezifikum.  

Vor dem Hintergrund der aktuell-mißlichen Rechtslage sollten zum Schutze des mit Zweifeln an seiner Prozeßfähigkeit überzogenen Bürgers, aber auch im Dienste des nötigen Vertrauensschutzes, spätestens in der mündlichen Verhandlung über die Frage der Prozeßfähigkeit unbedingt auch rechtliche Alternativen und weniger belastendende Beweiserhebungen eruiert werden. Ein versierter Prozessualist wäre da sicherlich hilfreich.

V. Zur Verfassungsrelevanz.
Die direkte Konfrontation Staat - Bürger führt zu verfassungsrechtlichen Fragestellungen bedeutungsschwerer Natur, denn der Staat in Gestalt des gesetzlichen Richters greift den mündigen Bürger an seiner empfindlichsten Stelle an, er zielt auf den Kern seiner Persönlichkeit. Niemand bezweifelt, dass eine psychiatrische Untersuchung die Persönlichkeit in allen Facetten berührt. Wie noch gezeigt werden wird, finden sich zunehmend auch von Justizseite nachdenklichere Töne zu dieser Sachlage, denn der Menschenwürdeschutz ist nicht abwägungsfähig, er gilt absolut. Greift eine staatliche Stelle in Freiheitsrechte ein, muß sie mit dem Eingriff einen legitimen Zweck verfolgen. Bereits hier mangelt es an Klarheit: siehe unten unter VII

Bei jedwedem Eingriff in Grundrechte hat der Staat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und zu wahren. Richter, die den § 56 ZPO als Freibrief nutzen, treten dieses "universelle Verfassungsprinzip" (Matthias Klatt, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, JuS Heft 3/2014, 193-199) regelmäßig mit Füßen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt also bereits im Vorfeld ein Mindestmaß von Verdachts-Grad, anders ausgedrückt: die Indizien müssen hinreichend für die Eröffnung des Zwischenverfahrens sein, ganz so, wie dies auch für die Staatsanwaltschaft gilt, wenn sie über die Eröffnung eines Strafverfahrens zu entscheiden hat. Im Falle des Expräsidenten Christian Wulff traf dies bekanntlich nicht zu, denn es wurde ohne hinreichendem Anfangsverdacht ein Strafverfahren losgetreten, was Prantl veranlaßte, eine "Neujustierung" des Grads an Verdacht zu fordern (Illner, ZDF, 24.7.2014). Zu fordern ist also von Verfassung wegen eine hinreichende Anlaßbezogenheit sowie die Wahrung der Verhältnismäßigkeit. Die Feststellung/Überprüfung der Eignung (Analogon zu Fähigkeitzum Führen von Kraftfahrzeugen ist in § 11 FeV geradezu musterhaft detailliert geregelt - in krassem Gegensatz zur ZPO. Ein überaus gründliches Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 10.12.2013 - Az. 10 S 2397/12 - , in dem es  u. a. heißt: "Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel...", könnte modellhaft für Gerichte hinsichtlich der Abfassung von Beweisbeschlüssen bei Zweifeln an der Prozeßfähigkeit einer Partei sein. Wenn dies bislang nicht geschah, so kann sich der Verdacht aufdrängen, daß Förderung der Autoindustrie Vorrang vor der Menschenwürde gewisser Rechtsuchender genießt.                                                                                                                                         

VI. Rechtssicherheit durch Richterrecht?

Für den Richter ist es nach wie vor ein Leichtes, "Zweifel" in die Welt zu setzen, dies im Bewusstsein, dass eine unmittelbare Kontrolle mittels Beschwerde gegen prozeßleitende Zwischenentscheidungen nicht stattfindet. Daher kann sich ein Richter auch damit begnügen, seine Zweifel nur summarisch darzulegen. Seine Beweisbeschlüsse zielen oftmals, noch schlimmer, auf unzulässige Ausforschung durch den Sachverständigen. Die gegenwärtige Rechtslage ist somit höchst problematisch, und zwar aus folgenden Gründen: 

a) Einen konkreten Prüfungsmaßstab für das Vorhandensein von Prozeßfähigkeit vermochte die Rechtsprechung bis heute nicht zu entwickeln. Allerdings sind gewisse Kriterien erkennbar, die sowohl Quantität als auch Qualität betreffen. Quantität allein etwa reicht nicht aus, siehe nur das Urteil des LG Berlin und, sehr differenziert, das des Saarländischen OLG vom 12.1.1998, 5 W 9/97 -8- (ZMR 1098, 310; Hausbesitzerzeitung, Heft 23/1998, Seite 11).

Selbst der BGH fand keine klaren Begriffe, als es um die Psychiatrisierung eines Rechtsanwalts ging, dem die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entzogen worden war: da wird von "Art" (der Mängel) und "so erheblich", sodann von "Häufigkeit" und "Auffälligkeit" und schließlich von "Grad" und "Ausmaß" gesprochen. Entscheidend sei, ob sich ein geistiger Mangel ausdrücke. Dies sei indes nicht der Fall, wenn ein "bewußtes und gezieltes Verhalten - wenn auch in inadäquater (beleidigender) Form - " vorliege, um einen "als berechtigt empfundenen Standpunkt zu vertreten." Allerdings geht es bei dem Anwalt nicht um Prozeß-, sondern um Geschäftsfähigkeit. Bei der Frage nach der Prozeßfähigkeit wird die Meßlatte weit tiefer gehängt, obwohl der § 51 Abs.1 ZPO auf § 104 BGB verweist und somit eigentlich die gleichen psychiatrischen Kriterien gelten müßten. 

b) Der Spielraum des „Zweifel“ hegenden Richters ist nahezu grenzenlos: er kann Beweise im Freibeweis-Verfahren erheben. Hierbei handelt es sich um reines Richterrecht, nach Scheuerle5 eine "arbeitsentlastende Erfindung", denn er wird erstmals mit Urteil des BGH vom 12.01.1951 - V ZR 11/50 - (NJW 1951, 441) zugelassen, dies gänzlich ohne Begründung (!) (Egbert Peters, Der sogenannte Freibeweis im Zivilprozeß, 1962, 133, 177; weiterhin kritisch in: JA 1981, 65ff). Wie es scheint, wurde die Einführung des Freibeweis erstmals 1933 (v. Weber, Die Prüfung von Amts wegen, ZZP, Bd. 57 (1933), 91-99) "im Interesse des Staates" diskutiert. Peters hält (Anm. d. Verf.: aus Sicht eines von richterlicher Willkür Betroffenen völlig zu Recht) das Interesse der Partei gegenüber dem des Staates für durchaus ebenbürtig (E. Peters, aaO. S. 134). 

Die Wurzeln des am 12.01.1951 durch den BGH als sogen. Richterrecht und ohne jede weitere Begründung eingeführten Freibeweises (s. u. Rz. 13) hinsichtlich "prozessualerheblicher" (gegenüb. "materiellerheblicher") Tatsachen gründen wohl im Dritten Reich6, siehe etwa Ludwig Müller, Der Freibeweis im Zivilprozeßrecht, Diss. Halle-Wittenberg 1936, 40. Erst 1987 liefert der BGH eine Begründung nach, die da lautete: "aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit" (AZ:  VII ZB 10/86), siehe dazu die kritischen Anmerkungen von Egbert Peters, ZZP 101. Band (1988), S. 296-298.

Ein Richter darf bei Zweifel am Geisteszustandes eines Klägers nach hM also Nachforschungen hinter dessen Rücken anstellen - u. a. bei Behörden, so z. B. dem Gesundheitsamt, ohne daß zuvor ein Beweisbeschluß ergangen wäre. Einzige Bremse ist dann nur noch der Datenschutz, wobei gerade dessen laxe Handhabung im sog. "kleinen (kurzen) Dienstweg" bekannt ist. Eine Protokollierungspflicht gem. § 159ff ZPO besteht im Freibeweisverfahren nicht, allenfalls hat das Gericht zB. Auskünfte per Telefon (etwa gem. § 29 Abs. 3 FamFG) aktenkundig zu machen: mit Datum, Ort, Personen usw.. 

Mit dem Wegfall der Parteiöffentlichkeit fällt auch das sehr wichtige Fragerecht an den Auskunft- Gebenden weg. Sucht ein Richter etwa telefonisch beim Gesundheitsamt um Auskunft über eine Partei nach, so greift Datenschutz und Amtsverschwiegenheit (§ 376 ZPO), was folgendes Prozedere auslösen müßte: der Amtsarzt müßte zunächst seinen Dienstvorgesetzten fragen; letzterer müßte um die Zustimmung des Betroffenden zur Auskunfterteilung nachsuchen ... 

Man könnte ein Relikt der NS-typischen Betonung des "Interesse des Staates" (Peters, 1962, 84) vermuten. Kein Wunder, daß neben Peters auch Lindacher (MüKo 2000, §§ 51,52, Rn.42), Bork (Stein/Jonas, ZPO-Kommentar, 2004, § 56, Rn.7), Leipold (Stein-Jonas, 21.Aufl., 1994, 559) sowie Oda (ZZP 1997, 117) gegen den Freibeweis und für die ordentlichen Beweismittel - Strengbeweis - plädierten, allerdings sämtlich vor dem Ersten JuMoG vom 1.9.2004 (so Zöller/Vollkommer § 56 Rn.8). Gemäß § 284 ZPO n. F. wird erstmalig der Freibeweis zugelassen, allerdings nur, soweit die Parteien vorher zugestimmt haben: die Ausschließlichkeit des Strengbeweises wurde damit beseitigt. Das Zustimmungserfordernis gilt jedoch auch weiterhin nicht für die Amtsermittlung im Rahmen des § 56 ZPO. Neuerdings kritisch auch Greger, der in der jünsten Ausgabe des Zöller von 2016 (§ 284 ZPO) hervorhebt, daß sich für diese Praxis "keine rechtliche Begründung finden läßt" (mit Verweis auf: Greger in FS Gottwald, 2014, s. 207ff). Greger zitiert den BGH, der "aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit" am Grundsatz des Freibeweises für Prozeßvoraussetzungen festzhalten will, dies sei eine schlichte petitio principii (Zirkelbeweis). Dies jedoch bedeutet nichts anderes, als daß die Funktionsfähigkeit der Institution Gerichtsbarkeit Vorrang vor dem Interesse des Individuums auf Rechtsgewähr hat, ein weiterer Beleg, daß das vielgepriesene Schutzargument des Betroffenen vor sich selbst - unter Inkaufnahme der Verletzung seines Rechts auf Gehör - nachrangig ist. 

c) Jeglicher "Zweifel" ist subjektgebunden, er entsteht in der Person des einzelnen Richters, der seinen - gebundenen - Auftrag zur richterlichen Rechtsschöpfung für den Einzelfall nachkommt. Der Gesetzgeber schweigt zu der Grenzsetzung zwischen prozeßfähig und prozeßunfähig, er schweigt überhaupt zur Frage der "partiellen" (um die es hier geht) Prozeßunfähigkeit. Damit eröffnet sich dem Richter ein weites Feld an Wertungsermessen. Als einzige Orientierung bleibt dem Richter die Kasuistik (= Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen) sowie die Ausschöpfung des gesamten psychiatrisch-psychologischen Wissens. Aber immer gilt nach Larenz, daß jede "wertende Erkenntnis" von der Persönlichkeit des Rechtsanwenders geprägt ist. 

d) Der Richter bestimmt den Sachverständigen und leitet ihn an (§§ 404, 404a ZPO). Diese Rechtslage ermöglicht dem Richter mittelbar eine ganz erhebliche Einflußnahme auf das Begutachtungs-Ergebnis.

e) Der Richter wertet die Beweismittel - das Gutachten - in "freier" Beweiswürdigung (§ 286 ZPO). Zwar muß, wie auch beim Strengbeweis, der Richter zur "vollen Überzeugung" gekommen sein, d. h., der Richter muß zu einem praktisch brauchbaren Grad an Gewissheit gelangt sein, bei dem "vernünftige" Zweifel schweigen. Dem Richter verbleibt gleichwohl ein erheblicher subjektiver Spielraum, denn er muß seine Meßlatte an seine eigene Vernunft anlegen - daher auch freie Überzeugung, siehe § 286 ZPO - , wie auch an die Vernunft eines vermeintlich pathologischen Querulanten. 

f) Im Falle nicht ausgeräumter richterlicher „Zweifel“ (non liquet) trifft den Veranlasser - in concreto also den Kläger - die objektive Beweislast seiner vollen Prozeßfähigkeit. Schlosser fragt zu Recht: "Warum eigentlich sollen Zweifel an der Geschäftsfähigkeit einer als Schuldner in Anspruch genommenen Person zu deren Lasten gehen, Zweifel in ihrer Prozeßfähigkeit als Beklagter aber zu ihren Gunsten, wo doch die ZPO in § 51 ausdrücklich auf die Regelungen über die Geschäftsfähigkeit im bürgerlichen Recht verweist?" (ZZP 1993, 535) Schlosser konstatiert sodann: "In keiner der veröffentlichten Entscheidungen, in denen die Prozeßfähigkeit einer Partei nicht geklärt werden konnte, ergeben sich Anzeichen für eine unvernünftige Prozeßführung zu Lasten von 'Gegner, Gericht oder Allgemeinheit'." (aaO., 536)

Dieses Richterrecht (BGH-Urteil v. 24.9.1955, IV ZR 162/54, BGHZ 18, 184) ist also bis heute nicht unumstritten geblieben: 

Anderer (!) Meinung sind insbesondere Dieter Leipold (Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen, 1966, 124), der im Falle des non-liquet für die Behandlung als prozeßfähig ist, und Hans-Joachim Musielak (NJW 1997, 1736ff), der den gleichen Standpunkt wie Leipold vertritt, sodann auch Koch (AK-ZPO, § 56 Rn. 3), Baldus (AnwaltKommentar, Bd. 1, 2005, § 104, Rn. 23) und wohl auch Kern (Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. 5, 2009, S. 19), der gleichfalls Musielak zu folgen scheint. 

Besonders umfassend hat sich Tsukasa Oda in seiner Mainzer Dissertation mit der Problematik des non-liquet befaßt; er leitet vom Justizgewährleistungsanspruch bzw. vom Rechtsverweigerungsverbots eine Entscheidungspflicht des Gerichts ab (Oda, Die Prozeßfähigkeit als Voraussetzung und Gegenstand des Verfahrens, 1997, 46); das Gericht darf also die Frage der Prozeßfähigkeit nicht offenlassen.

Schellhammer (Zivilprozess, 2007, Rn.1190) hält die vom BGH postulierte Beweislast des Klägers für die Prozeßfähigkeit des Beklagten und insbesondere im Non-liquet-Fall zumindest für zweifelhaft, da vom Gesetz ungeregelt und vom BGH - als Richter-Recht - "wenig plausibel" begründet. Die derzeitige Rechtspraxis, nach der aus nicht ausgeräumten Zweifeln der prozessuale "bürgerliche Tod" eintritt, läßt an ein Non-liquet-Verbot (Peter Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 49im Zuge gesetzlichen Regelung denken. Zum Non-liquet-Verbot siehe Ann-Kristin Schneider, Die Vortrags- und Beweislast im Zivilprozess, 2011.


g) Die weit strengeren Regeln im Falle zweifelhafter Geschäftsfähigkeit (§ 104 BGB) gelten - nach BGH-Rechtsprechung - für die Überprüfung der Prozeßfähigkeit nach (noch) herrschender Meinung gleichwohl nichtDer Staat muß bei Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit beweisen, denn im deutschen Recht gilt der Grundsatz der Einheit von Person und Rechtsfähigkeit; nach Savigny muß der ursprüngliche Begriff der Person oder des Rechssubjekts zusammenfallen mit dem Begriff des Menschen. Eine ausdrückliche Bestimmung über die Beweislast für die Prozeßfähigkeit ist in der ZPO nicht enthalten (Leipold, Beweislastregeln, 1966, 108). 
Während ein Absprechen der Geschäftsfähigkeit als "tiefgreifender Eingriff in die menschliche Natur" (Leipold, aaO., 115) aufgefaßt wird und dies daher nur erträglich erscheint, wenn die Geschäftsunfähigkeit nachgewiesen wurde, gilt nach BGH-Rechtsprechung gleiches nicht (!) für die Prozeßfähigkeit. In Lehbüchern, so etwa in dem von H. v. Oefele, Forensische Psychiatrie, 2011, S. 99, wird dies immer wieder einmal behauptet. So liest man bei Oefele: "...hier genügen Zweifel nicht, die Prozeßunfähigkeit muß bewiesen werden. " Dies ist schlicht falsch, denn: da nich in der ZPO geregelt, gilt bis auf weiteres Richterrecht (s.o.).

Leipold meint zwar: "Entscheidend aber ist, daß die grundlegende Wertung, die hinter der Beweislastregelung für die Geschäftsfähigkeit steht, im vollen Umfang auch für die Prozeßfähigkeit zu gelten hat. Die Verweisung auf die Geschäftsfähigkeit sei ja nicht nur zufällig. Vielmehr stellten Geschäftsfähigkeit und Prozeßfähigkeit nur zwei Seiten der umfassenden rechtlichen Handlungsfähigkeit des Menschen dar, vgl. Begründung zum Entwurf der CPO..." (Leipold, aaO., 118). Hiergegen argumentiert Reinicke, daß die 'Natur der Sache' - ein Prozeß sei kein  Rechtsgeschäft - etwas anderes verlange, so daß im Falle des non liquet nicht Gleiches wie bei § 104 BGB gelten könne, wo das BGB nämlich der Privatautonomie Vorrang vor dem Schutze Selbstbestimmungsunfähiger einräume.  (Reinicke, FS Lukes, 1989, 766, 765) 

Kritische Anmerkungen des Verf. zu Reinicke:
1. Fragt man nach dem Zweck der Entmündigung, so diente diese neben dem Schutz des Betreuungsbedürftigen auch dem "Schutz des Geschäftsverkehrs", d. h. des Vertragspartners und damit nur mittelbar der Justiz. Erst mit dem neuen Betreuungsgesetz vom 12.9.1990 (BGBl. I, S. 2002) fiel der Schutz des Geschäftsverkehrs weg; in Frankreich geschah dies weit früher mit der bereits 1968 eingeführten 'curatelle'. Die Bundesrepublik hinkt also Frankreich (und Österreich!) um Jahrzehnte hinterher, und dies trotz des durch die Grundrechte präferierten (dem Staatsschutz vorgängigen) Schutzes der Persönlichkeit.
2. In den hier besprochenen Fallgruppen verläßt die Justiz in Gestalt des dem Zivilverfahren vorsitzenden Richters die Stellung eines unbeteiligten Dritten und rückt in die Rolle einer Gegenpartei. Damit jedoch geht es nicht nur auch, sondern möglicherweise an erster Stelle um das Motiv des Richters, sich eines lästigen Störers zu entledigen. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen illegitimen und menschenverachtenden Motivation wächst durch den Wegfall einer Kontrollinstanz und den Wegfall des Begründungszwangs. Reinickes Argumente können somit unter teleologischem Blickwinkel nicht tragen, vielmehr offenbaren sie eine ausgeprägte Obrigkeitsorientierung, der sich u.a. später auch Bork (s.u.) - beide Repräsentanten der - noch - "herrschende Meinung".  
3. Da nun der Richter die Stellung des unbeteiligten Dritten verläßt und der betroffenen Partei quasi als Gegner gegenüber tritt und der Richter als Vertreter der Justizbehörde wesentlich im öffentlichen Interesse tätig wird, stellt sich die Frage, ob hier nicht die Ausübung des Ermessens analog der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu überprüfen wäre.   

Wenn Ermessensentscheidungen der Verwaltung - sogen. Verwaltungsakte, z. B. eine Abbruchsanordnung -, zwingend zu begründen sind, warum dann eigentlich nicht ein Beweisbeschluß der Justizbehörde, der bereits für sich genommen einen massiven Grundrechtseingriff in Gestalt einer psychiatrischen Exploration mit sich bringt? In beiden Fällen geht es um die Kontrolle der Ermessensausübung entsprechend dem Zweck eines Gesetzes. Gäbe es Rechtsschutz gegen willkürliche Psychiatrisierung seitens des Gerichts, könnten die durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung entwickelten Kriterien hinsichtlich rechtsfehlerhafter Ermessensausübung - insbesondere der Baubehörden - gute Orientierung liefern, vorausgesetzt, der Gesetzgeber entschlösse sich zu den vorliegend geforderten legislativen Nachbesserungen: Begründungszwang des Beweisbeschlusses sowie Rechtsschutz in Gestalt der sofortigen Beschwerde. 
Da hilft es auch nichts, wenn Johann Braun in seinem Lehrbuch (2014, 371) vermeint, daß es "angemessener" wäre, wenn die gleichen Beweisregeln wie beim § 104 BGB gelten würden ... (die Perspektive des Rechtsunterworfenen bleibt außen vor, trotz Art. 1 GG)

Zur Entstehungsgeschichte des Rechtsbegriffes 'partiell':
Die Rechtsprechung ersann den Rechtsbegriff "partiell" zuerst für das Strafrecht ("partielle Geistesstörung" bei einzelner fixer Idee, RGSt 1, 140, Urt. v. 17.1.1880), und erst danach für den Zivilprozeß, hier zunächst für die Geschäftsfähigkeit (einschlägig hierzu: Gebauer, Die Lehre von der Teilgeschäftsunfähigkeit, AcP Bd. 153, 1954, 332) und übernahm diesen Begriff später, nämlich als "partielle prozessuale Handlungsfähigkeit" als eine frühe Umschreibung eingeschränkter Prozeßfähigkeit. Es ging um ein Scheidungsverfahren, in dem es infolge einer partiellen geistigen Störung auch zu keiner Entmündigung, sondern lediglich zu einer Prozeßpflegschaft, über die deshalb auch das Prozeßgericht zu entscheiden habe (Urtheil des RG vom 14.6.1895, Seuff.Arch 51, Nr. 89 (S. 134); JW 1895, 378). Das Reichsgericht, gestützt u. a. auf das psychiatrische Lehrbuch von Krafft-Ebing, postulierte, "daß insbesondere einzelne, nach bestimmten Richtungen hin auftretende Wahnideen, welche von der Medicin als Geisteskrankheit bezeichnet werden, die Handlungsfähigkeit nur auf den Gebieten und in den Fällen ausschließen, welche durch sie beeinflußt werden." 
Das RG bestätigte am 3.6.1912 (JW 1912, 872) denn auch die Zurückweisung einer Scheidungsklage, weil der Kläger von Wahnvorstellungen (Eifersuchtswahn) beherrscht und folglich partiell geschäftsunfähig und damit prozeßunfähig sei.

Die Prozeßfähigkeit wurde fortan bei aufkommenden Zweifeln im Zuge des laufenden Verfahrens überprüft. Die Rechtsprechung sprach von einer auf ein bestimmtes Gebiet beschränkter Geisteskrankheit, die zur Prozeßunfähigkeit genüge (OLG Breslau vom 3.3.1920, Fall von Querulantenwahnsinn), bestätigt durch das RG am 14.1.1922 (Wahnvorstellungen der Klägerin in einem Scheidungsverfahren; JW 1922 II, 1007f) und RG vom 28.4.1933 (Warneyer Rechtspr. d. RG, 1933, 182f) sowie vom 15.12.1939 (RGZ 162, 229) s. a. RGZ 162, 229, B. v. 9.12.1939. Das Reichsgericht hatte damit die Figur einer auf ein bestimmtes Gebiet beschränkte, teilweisen (später 'partiell' genannten) Geschäftsunfähigkeit und - davon abhängig -  Prozeßfähigkeit entwickelt. Schon 1895 (JW, S. 384) war aber klar, daß die Offizialprüfung in der Frage der Prozeßfähigkeit nicht 'präjudizierlich' für ein etwaiges Entmündigunsverfahren sein konnte, da sich deren rechtliche Wirkung nur für den einzelnen Fall des jeweiligen Verfahrens entfalte.  

Nachkriegsrechtsprechung:
In logischer Weiterführung folgt der BGH am 24.9.1955, IV ZR 162/54, BGHZ 18, 184, dort 1. Leitsatz - darin wird der Ausschluss der Geschäftsfähigkeit und der Prozeßfähigkeit "für einen beschränkten Kreis von Angelegenheiten" postuliert. Soweit ersichtlich, taucht der Rechtsbegriff "partielle Prozeßunfähigkeit" erstmals am 29.12.1958 beim BVerwGH (unter Rückgriff auf das RG) auf.

Im Unterschied zum bürgerlichen Recht (BGB) kennt das Verfahrensrecht (ZPO) nur die vollständige oder eben partielle (d.h.: gegenständlich beschränkte) Prozeßunfähigkeit  - betroffen können selbst Rechtanwälte bei "Prozessen mit politischem Einschlag" (BVerfGE 17, 67-84) sein - , nicht jedoch eine generell beschränkte. 

Hierdurch unterscheiden sich Prozeßfähigkeit von Geschäftsfähigkeit: Die Geschäftsfähigkeit kann auf einfache Geschäfte des täglichen Lebens "beschränkt" werden, weshalb man auch von "relativer" Geschäftsfähigkeit spricht (§§ 105a, 106 BGB). Somit geht es bei Zweifeln an der Prozeßfähigkeit um einen harten Schnitt, nämlich um eine Ja-Nein-Entscheidung, wenn auch häufig nur in einem Verfahren bzw. einem Verfahrenskomplex, also "partiell" (Ausnahmen: §§ 607, 640b ZPO a. F.).


 h) Die Psychiatrie erfand im 19. Jahrhundert heute ungebräuchliche Diagnosen, neben dem "Eifersuchtswahn" auch den berüchtigten "Querulantenwahn". 

i) Juristische und psychiatrische Krankheitsbegriffe sind inkompatibel, insbesondere deshalb, weil der Jurist Ja/Nein-Entscheidungen trifft, während es gerade in dem hier relevanten Bereich der Persönlichkeitsstörungen um fließende Übergänge (Grade) geht, wobei die Grenzziehung bei der Schweregradbestimmung weitgehend willkürlich erfolgt. 

VII. Welcher Zweck wird verfolgt?

Laut § 56 ZPO ist der Mangel der Prozessfähigkeit lediglich 'zu berücksichtigen'. Orientierung hinsichtlich der Zwecksetzung liefern allein die §§ 51, 52 ZPO mit dem dort enthaltenen Hinweis auf das BGB (Geschäftsfähigkeit). Folgende Zwecksetzungen werden in der Kommentar-Literatur genannt:


1. Schutz des Klägers vor sich selbst?
Anmerkung: In schöner Regelmäßigkeit steht die "Rechtswohltat" (Willing, Bewahrungsgesetz, 2003. 75) des Schutzes des Rechtssuchenden vor sich selbst voran, ein Zweck, der verfassungsrechtlich angreifbar ist, hat sich doch das BVerfG gegen einen "fürsorgerischen Paternalismus" (Urt. v. 23.3.2011) ausgesprochen, sowie gegen eine "Vernunfthoheit" staatlicher Organe (BVerfGE 58, 226f)

Das OLG Hamm, 10.06.2014 - 11 SchH 27/12 - spricht von der "Schutzfunktion des Erfordernisses der Prozessfähigkeit" (es ging um die Wirksamkeit eines Prozesskostenhilfeantrags eines an Querulantenwahn erkrankten Klägers). Die 'Schutzfuktion' zugunsten des Klägers besteht nach Auffassung des OLG Hamm darin, daß der Kläger ggf. für die Kosten der angeordneten psychiatrischen Begutachtung zu haften hätte. Diese Argumentation ist in Wahrheit ein logischer Zirkel; denn: Es konnte in der Tat nur unbillig erscheinen, wenn ein Gericht die Kosten eines von ihm beauftragten Gehilfen (in Gestalt eines Psychiaters) bei der Entscheidung über gerichtseitige Zweifel an der Prozeßfähigkeit den mit Zweifeln Überzogenen auch noch aufbürdete, dies ganz umabhängig vom Ausgang des Gutachtens, denn  schließlich hat jeder Bürger das Recht auf Rechtsgewähr, dies auch in einem Sozialhilfe-Fall. 
Die krause Argumentation des Hammer Senats trachtete nurmehr danach, den Eindruck der schieren Wohltat zu erwecken. Tatsächlich geht es keineswegs immer primär darum, die betroffene Partei zu schützen, sondern - auch - den Gegner und, nicht selten sogar zuvörderst, die Institution Gerichtsbarkeit, s. u. 2. und 3. 
Die einschlägigen Handbücher in Sachen psychiatrischer Begutachtung nennen als "Normzweck" der §§ 52ff ZPO denn auch allein den Schutz der betreffenden Partei (so etwa Schneider/Frister/Olzen, Begutachtung psychischer Störungen, 3. Aufl. 2014, 252). Aus Sicht eines Sachverständigen ist dessen Begutachtung demnach eine pure Wohltätigkeitsveranstaltung!


2. Schutz des Gegners = Beklagten?
Vorangestellt sei ein Beispiel von Beklagtenschutz:
In der Grundsatzentscheidung des BGH vom 24.9.1955 wurde eine Scheidungsklage nach festgestellter partieller Prozeßunfähigkeit zugunsten der beklagten Frau abgewiesen. Als Indiz, bzw. als Symptom einer paranoiden Entwicklung für das Vorliegen der partiellen Prozeßunfähigkeit stellte der Senat heraus, daß die Frau die vom Gericht "wiederholt und dringend nahegelegte" Empfehlung, Widerklage oder einen Mitschuldantrag zu stellen, ignoriert habe. Hier diente die Feststellung partieller Prozeßunfähigkeit der von Scheidung bedrohten Beklagten.

Bork (ZZP 1990, 469, zustimmende Anmerkung zum BGH-Urteil vom 23.2.1990) stellt den Schutz des Gegners (ohne weitere Begründung) voran, es folgen Gericht und Allgemeinheit. Die Reihenfolge Gegner-Gericht-Allgemeinheit gebühre deshalb Zustimmung, weil der Staat - als sogenannter "unbeteiligter Dritter" - für Fairness zu sorgen hat. Allerdings hat der Gegner, also der Beklagte seine Zweifel an seiner eigenen Prozeßfähigkeit wie auch die des Klägers substantiiert vorzutragen, und so das Gericht (als unbeteiligter Dritten) zu weiteren Ermittlungen anzuregen. 

Ähnlich argumentiert auch das BAG im Urteil vom 6.5.1958 (2 AZR 551/57), wo es heißt: " § 56 Abs.1 ZPO beschränkt sich in seiner Zielsetzung darauf, nicht ordnungsgemäß vertretene Prozeßunfähige .... vor sich selbst zu schützen. Gleichzeitig dient der § 56 Abs. 1 ZPO auch dem Gegner eines solchen prozeßunfähigen. Dieser läuft ... Gefahr, mit einer Nichtigkeitsklage überzogen zu werden (§§ 579 Abs. 1 Ziff. 4, 586 Abs. 3 ZPO)." 

Hinsichtlich des Balanceverhältnis zwischen klägerischem Justizgewährungsanspruch und Beklagtenschutz "überwiegt der Anspruch des Klägers auf gerichtliche Auseinandersetzung (Prozess), falls das Fehlen einer Prozessvoraussetzung zwar ungewiss, aber nicht offensichtlich ist" (Steinberg, Richterliche Gewalt und individuelle Freiheit, 2010, 77). Die Klage m u ß dann also zugestellt werden. Zu Recht gibt auch Baumbach/Lauterbach (ZPO,72. Aufl.,2014, S. 221, hier im Zusammenhang mit gerichtlicher Vertreterbestellung gem. § 57 ZPO) grundsätzlich dem Interesse des Klägers an einem wirksamen Rechtssschutz den Vorrang. Die Justiz ihrerseits, da Institution, kann jedoch das Grundrecht des Bürgers, gegenüber ungerechtfertigten Klagen in Ruhe gelassen zu werden, für sich grundsätzlich nicht reklamieren! 

3. Schutz der Institution Gerichtsbarkeit? 

In der Stellungnahme des Vertragsstaates BRD zu einer Beschwerde einer Frau an den Menschenrechtsausschuss (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR bzw. IPBPR) wird als Zweck folgendes an erster Stelle genannt: 
"Die Anordnung des Landgerichts Ellwangen sei notwendig und gerechtfertigt, um das ordnungsgemäße Funktionieren der rechtsprechenden Gewalt zu schützen."
Der Ausschuss stellte fest, dass der Eingriff in das Privatleben, die Ehre und den Ruf der Verfasserin im Verhältnis zum verfolgten Ziel unverhältnismäßig und damit willkürlich war, und gelangt zu dem Schluss, dass ihre Rechte nach Artikel 17 in Verbindung mit Artikel 14 Absatz 1 des Pakts verletzt wurden. Im Fall M. G. ./. Deutschland wurde erstmalig eine Verletzung von Paktrechten durch die Bundesrepublik Deutschland festgestellt. Der Ausschuss sah in der Anordnung einer medizinischen Untersuchung zur Feststellung der Prozessfähigkeit, ohne die Beschwerdeführerin vorher angehört zu haben, eine Verletzung von Art. 17 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 IPbpR.

Es geht hiernach vorrangig um den Schutz des knappen Gutes geordneter Rechtspflege im Interesse der Allgemeinheit. 

Technokratisch gesprochen geht es um den Erhalt der "Funktionstüchtigkeit" der Rechtspflege, die das BVerfG als eine Voraussetzung des Rechtsstaats-Prinzips aus Art. 20 III GG ansieht. Steht der Schutz der Allgemeinheit resp. der Institution Gerichtsbarkeit aber im Vordergrund, ist es umso fragwürdiger, wieso einer Partei die Gutachterkosten für ihre prozessuale Entmündigung auch noch aufgebürdet wird, wenn ihr nicht einmal ein Mitspracherecht bei der Auswahl des Gutachters zubilligt wird, siehe dazu ein Beispiel auf dieser Site!

Wenn auch nicht mehr (wie in der NS-Zeit) ausgesprochen, ist folgendes gemeint: Funktion dient dem Gemeinwohl, was meint: faire, zügige, aber auch kostensparende Rechtsgewährung. Der Anwaltszwang gem. § 78 ZPO dient denn auch "den Parteiinteressen wie der Rechtspflege", Hauptziel ist die "Qualitätssicherung" (Baumbach, ZPO). In NS-Zeiten wurde für die Einführung des sog. Freibeweises geradeheraus "im Interesse des Staates" plädiert (v. Weber, 1933, s.o.) - euphemistisch gesprochen heißt es heute: Schutz der Institution.

Bei der Diskussion der sog. 'Konfliktverteidigung' wird dementsprechend im Strafprozess auch von dysfunktionalem Verhalten gesprochen; im Zivilprozess attribuiert man derartiges Prozeßverhalten als querulatorisch. 

Anmerkung: Nach Lukes ist die Prozeßfähigkeit eine Figur des öffentlichrechtlichen Zivilprozeßrechts (Lukes, ZZP 1956,142ff), an dem öffentliche Interesse beteiligt seien. Bei Lukes zeigt sich eine sehr obrigkeitsstaatliche Orientiertheit. Kahlke plädiert gar für den Vorrang des öffentlichen Interesses (Kahlke, Zur Beschaffenheit der Prozeßfähigkeit, ZZP 1987, 10-33) und rückt sich damit in die Nähe der NS-Ideologie. Reinicke stellt, wie Lukes, das "legitime Interesse der Allgemeinheit" in den Vordergrund und verlangt ein "normales" Maß an vernünftiger Prozeßführung zum "sachgerechten" Schutze der Allgemeinheit und der Prozeßgegner (Reinicke, FS Lukes, 1989, 766, 767). Im Klartext heißt diese (teleologische) Auslegung: Prozeßökonomie geht vor Menschenwürde; vor der Folie des Grundgesetzes ist dies wohl kaum mehr verfassungskonform. Reinicke schlägt auch eine Lösung vor: Drohe dem Kläger Rechtsvereitelung, so möge er sich einen Gebrechlichkeitspfleger gem. § 1910 BGB bestellen lassen...  (Reinicke, aaO. 769), womit er sich - in Anlehnung an Gebauer (1954) - an den Entwurf des "Volksgesetzbuchs" anlehnt.7  

Dementsprechend findet man in Rechtsprechung (BVerwG v. 5.6.1968, dem es nicht allein darum geht "unvernünftige Prozesse zu verhindern, sondern darüber hinaus dem Prozeßunfähigen die Risiken abzunehmen...") und Dissertationen oftmals eine ganz andere Reihenfolge, etwa bei Dirk Halbach (Diss. Köln,1980, S. 107f ) der mit offener Naivität vermeint, daß etwa die Vorschriften über Anwaltszwang oder die Postulationsfähigkeit "hauptsächlich im Interesse der Rechtspflege" erlassen wurden. Das Interesse der Rechtspflege zielt überwiegend auf zügige "Erledigung" der Verfahren und auf die Ausschaltung von Störern. Wie wenig es der Institution Gerichtsbarkeit um die vorgebliche "Fürsorge" geht, zeigt sich insbesondere daran, daß im Falle nicht weiter aufklärbarer Zweifel (non liquet) die betroffene Partei als prozeßunfähig gilt  -  hMseit den Grundsatzurteilen des BGH vom 25.9.1955, bestätigt vom BGH am  9.5.1962. Diese Auffassung steht in einer langen Tradition der Vorstellung von einer "höheren staatlichen Sittlichkeit" s. Hoche: "Ärztliche Betrachtungen", in: Binding/Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, 1920). Bekanntlich führten die Gedanken Bindings (Jurist) und Hoches (Psychiater) im Dritten Reich zur Euthanasie zahlreicher Insassen von Irrenhäusern, beide definierten das Individuum von der Gesellschaft her. Die unheilige Allianz zwischen Justiz und Medizin wurzelt im politischen System, welches wiederum die Vorschriften produzierte und produziert. 

Für Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften bleiben jedoch die leitenden Schwarz- und Weißkittel verantwortlich. Die Infragestellung  der Praxis beider Zünfte ist unverändert aktuell - dies zeigt auch unsere Thematik. 

Dagegen zu halten ist spätestens heute, daß im Grundsatz der Justizgewährungsanspruch eines Bürgers zumindest gegenüber dem Schutz einer Institution Vorrang haben muß, denn berührt wird die Würde des Menschen (Art.1 GG). Wie bereits dargestellt, gilt nach Richter-Recht, daß im Zweifel - auch im Falle einer Beweisvereitelung  eine Partei als prozeßunfähig erklärt werden kann. Für diese mit dem Menschenbild des Grundgesetz schwerlich in Einklang zu bringende richterrechtliche Praxis findet sich bereits 1933 eine Analogie: Ein verbleibender Zweifel hinderte die Entlassung bei der 1933 eingeführten Sicherheitsverwahrung (Weichert, Sicherheitsverwahrung - verfassungsgemäß?  - StV 6/1989, 267 - Fn. 17;  s.a. -- https://www.youtube.com/watch?v=IT0QL5c0dOc&feature=youtu.be 

http://www.rbb-online.de/kontraste/ueber_den_tag_hinaus/terrorismus/umstritten---straftaeter-in-die-psychiatrie.html ).

Wohltuend, auf dem Boden des Grundgesetzes stehend, dagegen Bruns, der den Begriff "Bewährung der Rechtsordnung" als "Irrlehre, ja als eine rechtszersetzende Fehlvorstellung" bezeichnete (Kahlke, aaO., Fn.88 - bezeichnenderweise ohne Literaturnachweis). 

Baumgärtel postuliert: "Das Schutzrecht des Staatsbürgers geht dem Interesse der Rechtspflege daran, möglichst wenig belastet zu werden, vor", und: "Querulantenklagen bedürfen als 'kranke' Fälle noch der Erforschung" (Baumgärtel, Treu und Glauben im Zivilprozeß, ZZP 1973, 370, 372).

Kahlke hingegen versteigt sich dazu, die Prozeßfähigkeit als "Ausdruck rechtspflegerischer Betrauung der Partei mit öffentlichen Aufgaben" zu sehen (Kahlke, aaO., 33). 

Generell begegnet Rechtsverweigerung zur Erhaltung der "Funktionsfähigkeit der Gerichte" - laut Voßkuhle zählt diese zu den "anderen" Verfassungsgütern (NJW 2003, 2197) -  jedoch schwer wiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken, denn dies wäre ein politisches Argument (Pieroth, Verwaltungsarchiv, 1977, 229). 

Bleibt noch anzumerken: für den Strafprozeß wird das Institut der Prozeßfähigkeit z. Z. gänzlich geleugnet und durch den Begriff der Verhandlungsfähigkeit ersetzt (Baumann in: FG für Karl Peters, 1984, 12). Demzufolge kann sogar ein angeklagtes Kind oder ein Geisteskranker verhandlungsfähig sein. Allerdings zeigt die Gerichtspraxis folgendes: Will die Justiz einen Gesinnungsgenossen vor Strafverfolgung schützen, so erklärt sie diesen als verhandlungsunfähig (Beispiel), will sie sich selbst schützen, für prozeßunfähig (eigener Fall). In beiden Fällen arbeiten Psychiatrie und Justiz Hand in Hand.

Hier geht es nicht - wie beim Zivilgericht oder der Privatklage - darum, unsinnige Anträge vom Gericht fern zu halten, sondern um öffentliche, vom Staat verteidigte Interessen. Karl Engisch bezeichnete den Angeklagten gar als "Untersuchungsobjekt", von dem eine Erklärung zur Beschuldigung erwartet werde, unter Hinweis, daß der Richter aus seinem Schweigen ungünstige Schlüsse ziehen könne (Festgabe Leo Rosenberg, 1949, 102, 104). Die Anklage erfolgt also auch bei Zweifeln an der Prozeßfähigkeit des Angeklagten, m.a.W.: bei Zweifeln an dessen Willensfreiheit.  Diese unterschiedliche Handhabung hält Engisch für falsch und plädiert dafür, im Strafverfahren die mangelnde Prozeßfähigkeit (etwa infolge Geisteskrankheit oder Geistesschwäche) durch Zuziehung eines gesetzlichen Vertreters auszugleichen (aaO., 119). 

Wie viel einfacher ist es doch für einen deutschen Zivilrichter, unbegründete Zweifel in die Welt zu setzen und so einem untersuchungsresistenten Kläger den Anspruch auf Justizgewährung zu rauben! 

Modellhaft für eine Begründugnspflicht des Beweisbeschlusses könnte der Runderlaß vom 12./13. April 1934 zum Schutzhaftbefehl sein, der u.a. folgendes festschrieb:

-"Der Schutzhaftbefehl muß die Gründe für die Schutzhaft enthalten."

- "Der Schutzhäftling ist unverzüglich nach seiner Festnahme über die Gründe des Schutzhaftbefehls zu hören."

(Quelle: Anatomie des SS-Staates Band 2, 1989, S. 33)




VIII. Ergebnis: 

Jeder Eingriff in der Kernbereich der Persönlichkeit, hier in Gestalt einer psychiatrischen Untersuchung des Geisteszustandes, bedarf aus verfassungsrechtlicher Sicht im Verhältnis Staat-Bürger einer Rechtfertigung, sprich einer der Schwere des Eingriffs angemessener Begründung. Nachdem diese bislang nicht gesetzlich verankert ist, herrschen derzeit noch Verhältnisse wie in vorkonstitutioneller Zeit: Man fühlt sich zurückversetzt in NS-Zeiten, wo das sog. Gemeinwohl dem Einzelinteresse vorging, siehe dazu nur Peukert, Grenzen der Sozialdisziplinierung, 1986, 275

Der § 56 ZPO kann tatsächlich ohne jede verfahrensmäßige Sicherung für die betroffene Partei mißbraucht werden, indem das Gericht Zweifel an der Prozeßfähigkeit aufwirft und eine psychiatrische Untersuchung verfügt, ohne diese Zweifel überhaupt oder auch nur mehr als summarisch begründen zu müssen. Ein Rechtsschutz gegen derartigen Mißbrauch existiert gemäß § 355 Abs. 2 ZPO  nicht, außer bei einer (in der Praxis schwer nachweisbarer) Gehörsverletzung, was auch immer dazu zählt. Verweigert sich der Proband der angeordneten psychiatrischen Untersuchung, trägt er die "objektive Beweislast" für das Vorliegen seiner Prozeßfähigkeit, die bedeutet im Klartext: er selbst müßte die Zweifel des Gerichts ausräumen - praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. In den hier besonders interessierenden Fällen, in denen die Zweifel in der Person des jeweilig zuständigen Richters entstehen, verliert dieser die Stellung des unbeteiligten Dritten. Das Gericht verfolgt immer auch Eigeninteressen. Umso unverständlicher ist, das es nicht, wie eine Partei, dazu verpflichtet ist, seinen Zweifel substantiiert darzutun. 


Die Urteilsbildung über ein "normales" Auftreten vor Gericht ist eine persongebundene Vorstellung von personell gebundenen Fähigkeiten. Mithin ist ein Begründungszwang zu fordern, dies jedenfalls solange sich die herrschende Meinung - wie auch Bork -  gegen den Standpunkt von Leipold und Musielak ausspricht, dem zufolge es auch bei der Frage der Prozeßfähigkeit - wie beim § 104 BGB (Geschäftsfähigkeit) - im Zweifel bei der Prozeßfähigkeit bleiben sollte. Leicht ist es nämlich, Zweifel zuhegen, wenn man sie nicht begründen muß. Und relativ leicht ist es auch, einen willfährigen Sachverständigen zu finden, der die Zweifel aufrecht erhält.

Im Zivilprozeß tut sich die Rechtspflege mit dem Abbau von Individualrechten zwecks Kostenersparnis freilich weitaus leichter, geht es doch nicht um den kostenträchtigen Einschluß (wie bei einer Zwangseinweisung oder einer Sicherungsverwahrung), sondern lediglich um einen Ausschluß. Bei der Entmündigung besteht weitgehend Einigkeit hinsichtlich der Zweckbestimmung: Fürsorge für den Betroffenen u n d Schutz der Allgemeinheit. Einer der wenigen Juristen, die früh auf dem Boden des Grundgesetzes standen, war Bublitz, der feststellt: "Daß die Tätigkeit des Querulanten eine Gemeingefahr begründet, rechtfertigt für sich allein niemals die Entmündigung. Die "Maulkorbentmündigung" ist gesetzlich verboten". 

Auch bestehe kein Grund, den Schikaneparagraphen nur anzuwenden, um dem Gericht Mühe und Kosten zu ersparen. (Bublitz in: Richter und Arzt, 1956, 142). Ein nicht hinreichend begründeter "Zweifel", bedeutet, wenn sich der Betroffene einer psychiatrischen Untersuchung verweigert, eine Teilentmündigung, nämlich den Entzug der Prozeßfähigkeit. Aber selbst wenn sich der gesunde Proband der Untersuchung - womöglich noch von einem Amtsarzt -  vertrauensvoll stellt und anwaltlich nicht oder schlecht vertreten ist, läuft er Gefahr, eine ähnliche amtsärztliche Diagnose zu erhalten wie dies dem (völlig normalen, gleichwohl naiven) Bruno T. widerfuhr, der wegen seiner abweichenden politischen Meinungen 1936 zunächst in Schutzhaft genommen (gem. d. bayer. "Allgemeinen Richtlinien bei der Verhängung von Schutzhaft" vom 1.8.1936, siehe Terhorst, Polizeiliche Überwachung, 1985, 106f) und schließlich als gemeingefährlicher Geisteskranker unfruchtbar gemacht wurde (Blasius, Der verwaltete Wahnsinn, 1980, 165ff). 

Psychoanalytisch gesprochen, wäre auch heute, analog dazu, ein ungerechtfertigter Prozeßunfähigkeitsausspruch eine "Kastration". Wer den Typenbegriff  "querulatorisch" auf sich gezogen hat, läuft Gefahr, zur Person minderen Rechts erklärt zu werden, ganz so wie die "Gemeinschaftsfremden" im 3. Reich (Ayaß, Asoziale9, 1995, 206), oder die staatliche Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug, einer Grauzone ähnlich der hier diskutierten Problematik, in die das Bundesverfassungsgericht erst 2011 einen Leuchtturm installierte, siehe dessen Beschluß vom 23.März 2011. Vertrauen in die Institutionen, insbesondere die psychiatrischen Gutachter, ist nach aller Erfahrung ein frommes Desiderat und dient nurmehr dem Selbstschutz vor völliger Verzweiflung. 

Staatliche Bemühung um Kostenersparnis zeigt sich insbesondere im Prozeßkostenhilfe-Verfahren. Gem. § 118 Abs. 2 ZPO muß das Gericht Erhebungen anstellen - zum einen hinsichtlich der Erfolgsaussicht des angestrebten Prozesses, zum zweiten aber auch hinsichtlich der persönlichen Voraussetzungen, hier nicht nur hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, sondern auch des Geisteszustandes, im Klartext: der Prozeßfähigkeit. Einschlägig hierzu OLG Hamm, Beschluß vom 22.2.2012 (I - 13 W 44/11). Wie immer galt: "Bei nicht ausräumbaren Zweifeln" an der Prozeßfähigkeit der  war das PKH-Gesuch  abzulehnen. Allerdings kann der Betroffene um die Bestellung eines Betreuers gem. §§ 1899 Abs. 4, 1909 BGB bzw. besonderen Vertreters gemäß §  72 Abs.1 SGG nachsuchen. Gleichwohl ist das Gericht befugt, ausnahmsweise von einer Bestellung dann abzusehen, wenn ein "absurdes Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz vorliegt oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen" (LSG NRW, B .v. 15.04.2013, L 20 SO 318/12). Enthält der Klageentwurf eines Antrags auf PKH Verunglimpfungen und Beschimpfungen der Justiz und namentlich genannten Richtern, so wird gleichwohl der Anspruch auf Rechtsschutzgleicheit verletzt, wenn ein Gericht nach bloßer Aktenlage den PKH-Antrag deshab zurückweist, weil Anhaltpunkte für einen Querulantenwahn vorlägen. Auch in einem solchen Falle hätte das Gericht (LAG Hamburg) - nach persönlicher Anhörung des vermeintlich kranken Querulanten - ein SV-Gutachten einholen müssen: BVerfG 16.06.2016 - 1 BvR 2509/15


Der Richter als Person wird nirgends erwähnt, obwohl doch er diese „Zweifel“ höchstselbst hegt. Die Tatsache fehlender Rechtsmittel - Richterablehnungen greifen in der Regel in diesem Zusammenhang nicht - und daher der Wegfall angemessener Begründung der richterseitigen Zweifel kann bei charakterschwachen Richtern ein Allmachtsgefühl auslösen. Dieses Allmachtgefühl jedoch trübt das Bewußtsein, daß ein Mensch mit der Psychiatrisierung zum Untersuchungsobjekt wird. Der Richter wird verleitet, leichtfertig institutionellen Mißbrauch zu treiben indem er sich mit seinen Emotionen innerhalb des hier eröffneten Freiraums treiben kann. Daß dies den Anspruch des Rechtsunterworfenen auf ein faires Verfahren in angemessener Zeit entgegen steht, ist klar. 


Bedenkt man, daß die Bezeichnung eines Richters als "geistig behindert" eine Beleidigung darstellt (Mishra, Zulässigkeit und Grenzen der Urteilsschelte, 1987, 155), so gälte dies - theoretisch - erst Recht für unbegründete Zweifel an der prozessualen Geschäftsfähigkeit. Der Begründungszwang erwächst i. ü. der Verfassung (Mishra, a.a.O., 112 m.w.N.).


IX. Fazit:

Es stellen sich neben reinen Rechts-, auch gesellschaftspolitische Fragen:

a) Müßte nicht aber die für Parteien geltende Darlegungspflicht der Tatsachen und daraus gezogene Schlüsse nicht erst recht für den Richter selbst gelten, wenn er doch der einzelnen Partei quasi als Partei gegenüber tritt? Rimmelpachers Antwort lautet: Richterliche Zweifel "müssen soweit substantiiert sein, wie es eine Parteibehauptung sein müßte, die einen Zweifel zu erregen imstande sein soll." (Rimmelspacher, Zur Prüfung von Amts wegen im Zivilprozess, 1966, 159)  

b)  Müßte in einem Falle der direkten Konfrontation Staat - Bürger nicht ein unmittelbares Rechtmittel zur Verfügung stehen?

c) Und sollte nicht gelten, was das BAG in einem Urteil vom 6.5.1958, 2 AZR 551/57, feststellte: "Der Grundsatz der Unparteiischkeit eines Gerichts im Zivilprozeß ist so wesentlich, daß ihm gegenüber der mit § 56 Abs. 1 ZPO verfolgte Zweck zurückzutreten hat"? Sollten nicht die Schutzzwecke "vor dem generelleren und höherwertigeren Prinzip der Unparteiischkeit eines Gerichts weichen müssen"? (BAGE, 6, 80f)

Die jedem Richter obliegende Sorgfaltspflicht verlangt die fallbezogene Kenntnis der Rechtsprechung. Die Jurisprudenz beansprucht gerade den Status einer Wissenschaft, weil sie ihre Ergebnisse nicht freihändig, sondern durch Argumentation (Begründung) gewinnt.

Nimmt man die spärliche Gesetzeslage und die von der Rechtsanwendung entwickelten Grundsätze zusammen, so besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf, denn eine reale Sicherung gegen einen Mißbrauch bei der Beschränkung der Geschäftsfähigkeit - und analog der Prozeßfähigkeit - bietet allein die Regelung des Verfahrens (Pawlowski, Allgemeiner Teil des BGB, 1998, 94). 

Die Rechtsvergleichung (nach Häberle die 5. Auslegungsmethode) zeigt folgendes: Im Verwaltungsrecht sind Abwägungsentscheidungen10 gem. § 39 Abs. 1 S. 3 VwVfG zwingend zu begründen11.

Auch im Strafprozeß herrscht gem. § 34 StPO in bestimmten Fällen Begründungspflicht.    

Dementsprechend verlangt im Buch 2 der ZPO der § 286 bei "freier Beweiswürdigung" im Urteil eine Begründung. Für prozeßleitende Zwischenentscheidungen gilt dies allgemein zwar nicht, jedoch gebietet der Grundrechtsschutz bei Eingriffen in die Persönlichkeit in Gestalt einer psychiatrischen Exploration - analog etwa der Haussuchung - den nachfolgend geforderten Begründungszwang

Die Orientierungslosigkeit der Rechtsanwender und der unübersehbare Mißbrauch in der Anwendung der Blanko-Vorschrift des § 56 ZPO offenbaren gravierende verfassungsrechtliche Defizite. Ergänzungen der ZPO um einen § 56a ZPO sind daher geboten, etwa wie folgt:

1. Der Richter hat die Quelle seiner Zweifel an der Prozeßfähigkeit einer Partei durch Angabe der Tatsachen (z. B. Textstellen) sowie der daraus gezogenen Schlüsse anhand der in Rechtsprechung und Medizin entwickelten Kriterien darzulegen

2. Wird mittels Beweisbeschluss eine psychiatrische Untersuchung angeordnet, ist Rechtsmittel (Beschwerde12) gegeben.

3. Im Falle des non-liquet behält die betroffene Partei ihre Prozessfähigkeit.





Anmerkungen:
in Anlehnung an Niklas Luhmann: Legitimation durch Verfahren, 1969.

2 bezeichnenderweise unveröffentlichter und undatierter Schlußbericht eines Projekts an der Universität Freiburg "Psychologische Gutachten in Prozessen vor dem Familiengericht" von Werst & Hemminger (ca. 1984/85, unveröffentlicht. Kopien über den Verf. beziehbar). Der Bericht war vom BMJFG gefördert worden. Viele der (anonym) befragten Richter hatten angegeben, "daß sie praktisch immer schon im voraus wissen, wie der Rechtsstreit zu entscheiden sein wird, wenn sie Sachverständige beauftragen." Diese Richter handelten also bewußt rechtswidrig. 48% der Richter beauftragen den Sachverständigen pauschal, d.h. ohne jede Kriterienbenennung, was gegen die Pflicht verstößt, den Sachverständigen zu leiten. In 25% der Fälle wurden Institutionen beauftragt (u. a. Verstoß gegen die Sachkundeprüfung). Männliche Richter entschieden signifikant häufiger für die Mutter als weibliche. Uwe Jopt hat die Ergebnisse später verarbeitet. Die Parallelität zum hier behandelten Problem der Überprüfung der Prozeßfähigkeit liegt auf der Hand.

3 Verweigert der Betroffene die psychiatrische Begutachtung, wird er für gewöhnlich zum Prozeßunfähigen erklärt, nimmt er teil, droht das gleiche Ergebnis, da der Sachverständige vom Gericht ausgesucht und "angeleitet" wird.

4 Das Familienrecht, zeichnet sich durch die besonders große Bedeutung des Richterrechts im Verhältnis zum Gesetzesrecht aus (Zeidler, Zeitgeist und Rechtsprechung, FS f. Faller, 1984, 146). Mit der nahezu grenzenlosen Entscheidungsbreite - die Folgen für den Einzelnen können verheerend sein - korreliert der Ermessensspielraum des Richters bei der Grenzziehung zwischen (noch) prozeßfähig und (schon) prozeßunfähig. Es verwundert daher nicht, daß der Kampf ums Recht besonders verbissen geführt wird, mit der Folge, daß im Familienrecht die wohl häufigsten Psychiatrisierungen passierten. Das seit 2009 geltende FamFG sieht einen erweiterten Anwaltszwang vor: § 114 FamFG, d. h. Anwaltszwang herrscht in sämtlichen familiengerichtlichen Verfahren, d.h.auch außerhalb des Verbunds. Die Zahl der Psychiatrisierungen dürfte damit in dieser Sparte abgenommen haben, da die Partei ihre Postulationsfähigkeit aufgrund der Anwaltsvertretung verliert. 

5 Scheuerle (JZ 1964,630f) hält den Freibeweis im Zivilprozeß - der " in den Bereich der prozeßrechtlichen Zauberkunststücke" gehöre - überhaupt nur dann für zulässig, wenn 
- die Parteien die beweiserheblichen Sachverhalte in den Prozeßstoff eingebracht haben,
- die Parteien darüber haben diskutieren können,
- sie gegen die Erhebung und Verwertung des Freibeweises keinen rechtzeitigen Widerspruch erhoben haben
Diese Grundsätze müßten doch wohl erst recht gelten, wenn es um massive Eingriffe in die intimsphäre eines Menschen - bei massiver Datenschutzverletzung - geht!

6 zur möglichen Erklärung: Auch die damaligen BGH-Richter blickten nicht selten auf aktive NS-Erfahrung zurück. So war der Vorsitzende dieser bahnbrechenden Entscheidung, Dr. Erich Pritsch seit 1935 als Ministerialrat am Reichsjustizministerium tätig.

7 I§ 50 des "Volksgesetzbuches" heißt es: "Begnügt sich der Richter mit der Bestellung eines Pflegers ..."  (Hedemann u. a., Entwurf zum Volksgesetzbuch der Deutschen (1941), Seite 96)

8 Der bekannte Strafverteidiger Heinrich Hannover zur Nachbetung der hM ("herrschende Meinung" = BGH-Meinung): Jeder, der die hM zitiert, trüge dazu bei, eine "herrschende Meinung" festzutreten, "so wie man eine Spur im Schnee festtritt, aus der auszubrechen immer schwerer wird." (in: Der Oldenburger Buback-Prozess, 1979, 214)

In Deutschland wird, zwecks Ausschaltung von Assoziationen heute anstelle von 'asozial' lieber von 'dissozial' gesprochen.


10 Geht es bei "Zweifeln" nicht regelmäßig um Abwägungen? 

11Thomas Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006, 97.

12 Im Falle sofortiger Beschwerde besteht Anwaltszwang.