System wie ein starrer Baum mit starren Ästen (K. Schneider) Kurt Schneider (* 7. Januar 1887 in Crailsheim; † 27. Oktober 1967 in Heidelberg) gilt noch heute vielen deutschen (insb. nicht-jüdischen) Psychiatern als "bedeutendster Wegbereiter der modernen deutschen Psychiatrie" (Dieckhöfer) und als "eine der wenigen Konstanten in der heute so wandlungsvollen Seelenheilkunde". Sein Schüler Gerd Huber war Initiator der Kurt Schneider- und H.J. Weitbrecht-Wissenschaftspreise. Der Kraepelin-Schneidersche Psychopathologie liegt das heute führende Diagnosehandbuch DSM zugrunde, ein Indiz für das herausragende Gewicht dieser beiden Autoren. Der "Meister der Psychiatrie" (Eberhard Schmidt, 1962) war ein der Hauptvertreter der These der Anlagebedingtheit in der deutschen Kriminologie. Das Schicksal eines Strafgefangenen hing davon ab, ob er als "besserungsfähig" oder "besserungsunfähig" eingestuft wurde. In der NS-Zeit konnte das bekanntlich ein Todesurteil bedeuten. Sodann hinterließ Kurt Scneider mit seiner grundlegenden Psychopathen-Definition (s.u.) eine - bis heute gegenwärtige - charakteristische Spur für die deutschsprachige psychiatrische Lehre, verbunden mit dem absurden Anspruch der Wertneutralität. In gängigen Lehrbüchern (Tölle, Psychiatrie 1982, 101) geisterte das Desiderat der Wertneutralität weiter herum, und ein Ende ist bis heute nicht in Sicht. Bezeichnend für Kurt Schneider ist, daß er die Frage der Willensfreiheit (= Fähigkeit der Einsicht und Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln) für unbeantwortbar hielt. Diese "agnostische Position" vertraten auch Schneiders zahlreichen Schüler, so etwa Witter, Haddenbrock, Langelüddeke und Bresser. Laut Kröber wurde diese Position nun aber insbesondere durch Janzarik überwunden (Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2016, 182). Eine "gnostische" Position verträten dem gegenüber u.a. Mende/SchlerSpringorum, Fenzlaff und Rasch, die es wissenschaftlich für möglich hielten, die Frage des Grades "sozialer Kompetenz in einer spezifischen Situation" wissenschaftlich zu beantworten (Nedopil, 2007). Auch Schöch hält den sog. Agnostizismusstreit denn auch für "längst überwunden" (FS G. Widmaier, 2008, 978). Wenngleich Kurt Schneider in der NS-Zeit zur völkischer Orientierung etwa eines Carl Schneiders Distanz hielt, wird nachfolgend am Beispiel der Gallionsfigur Kurt Schneider dargelegt, daß auch die 'klassische' deutsche Psychiatrie alles andere als unpolitisch war - und immer noch ist. Howard S. Becher nennt, ohne dessen Namen zu nennen, das Kurt Schneidersche statistische Verfahren "einspurig" und "trivial". Inwieweit ein Verhalten für eine Gesellschaft funktional oder dysfunktional ist, sei häufig ein politische (!) Frage (Becher, Aussenseiter, 1981, 4, 6). Dies zeigt sich vor allem am Gesellschaftsbezug, siehe dazu Kurt Schneiders berühmte (richtiger hieße es: berüchtigte) Psychopathen-Definition in: Die psychopathischen Persönlichkeiten (Erstausgabe: 1923). Die Wirkungsmacht der - ähnlich gelagerten - Konstitutionsbiologie Ernst Kretschmers (Körperbau und Charakter, 1921) war weit geringer. Es lag nahe, daß das Anlagedenken im "Dritten Reich", in dem Volk und Rasse resp. Blut-und-Boden-Ideologie zum zentralen Thema wurde, noch weiter in den Vordergrund trat und damit die massive Abwertung auffälliger Personen als 'abartig', 'unverbesserlich' bis hin zur 'Ballastexistenz'. Rasch erläutert die "unrühmliche Vorgeschichte" des Unwortes Abartigkeit, das in das Jahr 1944 datiert und sich heute in § 20 StGB findet (NStZ 1982, 178). Die kritsche Auseinandersetzung des forensischen Psychiaters mit dem gesetzlichen Begriff der Abartigkeit sei identisch mit seiner Auseinandersetzung mit den Psychopathen. (Rasch, aaO., S 179) Erst seit etwa 1968 setzte eine Öffnung in Richtung gesellschaftlicher Ursachenforschung abweichenden Verhaltens ein, verbunden mit einem Aufschwung der Rechtssoziologie, die, nach einer kurzen Blütezeit, heute wieder ein Schattendasein führt. Parallel dazu versuchten gesellschaftsorientierte Psychiater und Psychologen die Interaktion, das gesellschaftliche Wechselspiel, in die Bewertung pathologischer Verhaltensauffälligkeiten einzubeziehen. Die klassische deutsche psychiatrische Lehre lehnte und lehnt diese neuen Zugänge weithin ab und hält (Charakter-)Psychopathien nach wie vor für überwiegend anlagebedingt, dies in der Tradition von Kurt Schneiders Ahnherr Kraepelin, der 1883 von Lombroso (1976) die sozialdarwinistische These vom 'geborenen Verbrecher' übernommen hatte. Kurt Schneider blieb - trotz der mit den 68er einsetzenden neuen Perspektiven - ein Exponent der traditionellen deutschen Psychiatrie. Diese teilt sich in die - wohl immer noch herrschende - klassische 'Heidelberger Schule' (Karl Jaspers, Kurt Schneider) und der eher noch mehrdimensionalen Sicht der 'Tübinger Schule' (Robert Gaupp, Ernst Kretschmer). Letzlich jedoch haben sich die Nachfolger der Tübinger Schule (der u.a. auch Nedopil nahe stehen dürfte) nicht sehr weit von dem statischen Abnormitätsbegriff Kurt Schneiders entfernt. Die 'strukturdynamische' Sicht (Janzarik, 1988) kann für das statische Beharren der herrschenden deutschen psychiatrischen Lehren stehen. In der Frage der Behandlungsfähigkeit von Straftätern ist gegenwärtig in der Kriminologie eine dementsprechende gegenläufige Bewegung feststellbar, die biologisch-genetische Zusammenhänge wieder stärker betont (Imanuel Baumann, Dem Verbrechen auf der Spur, 2006). Der Kretschmer-Schüler Johannes Hirschmann etwa führt abnormes Verhalten bzw. die Entwicklung von Neurosen auf das prä-traumatische Sosein der Persönlichkeit zurück - querulierende Rentenneurotiker litten schon vor dem Unfall an einer manifesten Neurose - und Hirschmann giftete geradezu gegen jene Ärzte, die "iatrogene" Neurosen züchteten. Zugleich beklagte er die staatlichen Schutzeinrichtungen gegen ärztliche Fehlgutachten, sprich Sozialgerichte, die doch nur ein Heer von Querulanten erzeugten. Ein Plädoyer für den Halbgott in Weiß, der Außenkontrolle überflüssig macht? Immerhin: Hirschmann hält ein therapeutisches Einwirken bei Rentenneurotikern teilweise für möglich, nicht jedoch bei "Defektpersönlichkeiten" als "primär Abartige", wenn es "schwer Entartete" sind, auch nicht bei "leicht Schwachsinnigen". Immer jedoch ist die Hauptzielrichtung die Entlastung der Versicherungen und Gerichte und nicht das Wohl des Anspruchsstellers (Hirschmann, Abnorme seelische Reaktionen und Entwicklungen nach Unfall. In: Grundzüge der Neurosenlehre, Bd.1, 1972, 183, 191, 193f). Seelenarzt als Sozialingenieur im Dienste der 'Allgemeinheit'? Hirschmann spricht einmal von "Persönlichkeitsartung" (aaO., 195), sodann von "Persönlichkeitsstruktur" (aaO., 196f): ersterer Begriff steht bei ihm für "anlagemäßige und milieubedingte Formung", letzterer für angeboren, also ererbt. Sein Resümee: Eine Behandlung scheitert bei Mangel an "ausformbarer seelischer Substanz", im Klartext: Erbanlage. Der vermeintliche Abstand zu Schneider reduziert sich also nicht unwesentlich. Die Nähe beider Schulen offenbart die Kretschmer'sche Beschreibung des genetisch wurzelnden "sensitiven" Charakters, wie ihn Nedopil im Mollath-Prozeß erläuterte. Kurt Schneider und seine Schüler0 halten allerdings explizit v. a. die freudianische Psychoanalyse für Teufelswerk - Kurt Schneider spricht gar von "Psychologisierung der Krankheit", Kurt Kolle von "psychoanalytisch infizierten Psychiatern" (NJW 1960, 2225) - ; für sie alle ist Abnormität weitgehend angeboren. 1950 noch schrieb Kurt Schneider: "Neurosen ...wachsen immer auf anlagemäßig abnormen, psychopathischen Persönlichkeiten und
haben in ihnen zumindest eine ihrer Bedingungen." (Die psychopathischen Persönlichkeiten, 9.Aufl., Wien 1950, S. 57) Schneider bezog sich dabei auf den traditionellen, auf Freud zurückgehenden Neurosenbegriff. Die klassische deutsche Kraepelin-Schneidersche Psychiatrie stand also fest auf dem Boden der (weitgehend anlagebedingten) deutschen Charakterologie, dies im Gegensatz zur psychoanalytischen Charakterlehre, nach der Charakterauffälligkeiten Fehlentwicklungen entspringen, d.h. überwiegend erworben und daher auch nicht unbehandelbar sind. Stumpel hält, im Gegensatz zu K. Schneider, weder Psychopathie für angeboren noch die "keinesfalls als erblich" zu bezeichnenden Neurose (Stumpel, Hb. d. Neurosenlehre u. Psychotherapie Bd. II, 1959, 2- 4). Der Begriff Psychopathie wäre, so Stumpel, wissenschaftlich nicht mehr vertretbar, sofern sich zeigen läßt, daß auch Psychopathien geworden sind. Die derzeitige Diagnosen-Inflation erwuchs diesen beiden konträren Lehrmeinungen. Einschließlich mancher umstrittenen Diagnose (wie z.B. 'Borderline') führte diese Flut zur Entwicklung des heutigen, zunehmend weiblichen psychologischen Therapeuthen-Heeres. Die klassische Psychiatrie hatte es demgegenüber auf nur lächerliche zwei Krankheitseinheiten gebracht: Zyklothymie und Schizophenie. Die eigentlichen Ursachen für die Instrumentalisierung der deutschen Psychiatrie sind jeweils systemisch-politischer Natur, wie es auch unsere Thematik zeigt, die Psychiatrisierung mittels mißbräuchlicher Nutzung des § 56 ZPO. Hier wirken beide Systeme - Justiz und Psychiatrie - in Richtung der gewünschten Exklusion zusammen. Anhänger fand Kurt Schneider zumal bei Juristen, "was nicht verwundert, wenn man bedenkt, wie sehr seine begriffliche Psychopathologie dem juristischen Denken entgegenkommt." (Schott/Tölle, Geschichte der Psychiatrie, 2005, 153) Kurt Schneiders Beschreibung abweichender Persönlichkeiten hat "insbesondere auch die Klassifikationssysteme DSM und ICD maßgeblich geprägt". Grundlage dafür war Schneiders Hauptwerk „Klinische Psychopathologie“ (1931) und die danach bis heute am weitesten verbreitete Diagnostik ein, die sich durch
die Einteilung in Symptome ersten und zweiten Ranges auszeichnet. Durch die schematisierte
Auflistung der Symptome und die Operationalisierung der Diagnosekriterien findet die Schneider'sche Diagnostik immer noch großen Anklang. So listet Schneider die Symptome und Kriterien auf, die zur
Diagnostik der Schizophrenie führen sollen. Zu den Symptomen ersten Ranges gehören
unter anderem das „Gedankenlautwerden, das Hören von Stimmen in Form von Rede und
Gegenrede, Hören von Stimmen die das eigene Tun mit Bemerkungen begleiten, leibliche
Beeinflussungserlebnisse, Gedankenentzug, Gedankenausbreitung“. Zu den Symptomen
zweiten Ranges werden Symptome von geringerer Bedeutung für die Diagnose der Schizophrenie
gerechnet. Darunter fallen „alle nicht zu den Symptomen ersten Ranges gehörenden Sinnestäuschungen, Wahneinfälle, Ratlosigkeit, depressive und frohe Verstimmungen,
erlebte Gefühlsarmut u.a.“. Das berühmte Rosenhan-Experiment fußte denn auch auf dem wichtigsten Symptom der Diagnose Schizophrenie nach Kurt Schneider: dem Stimmenhören! Aufgrund dieser herausragenden Stellung dieser Gallionsfigur urdeutscher Psychiatrie - erscheint es angebracht, pars pro toto Kurt Schneider ein eigenes Kapitel zu widmen: Kurt Schneider, geb. 1.7.1887 in Crailsheim, gest. 27.10.1967 in Heidelberg, war Sprößling einer familiaren Verbindung von Obrigkeiten (Kirche und Staat), nämlich Sohn des Ulmer Landgerichtspräsidenten Paul von Schneider (1855–1918) und der Pfarrerstochter Julie Mathilde Weitbrecht (1860-1938). Nachfolgend wird eine besondere Facette der spezifisch deutschen Psychiatrie herausgestellt, nämlich die Frage nach Anpassung an den Durchschnitt und, dem entsprechend, nach Auffälligkeit gegenüber dem Durchschnitt. I. Kurt Schneider und die Psychopathen. Kurt Schneider vertrat, wie oben erwähnt, einen 'agnostizistischen' Standpunkt, was heißt, er hielt ein wissenschaftliches Urteil über die psychologischen Merkmale endogener psychiatrischen Erkrankungen für unmöglich. Für die Praxis bedeutet dies: Verzicht auf die Analyse der inneren Situation des Probanden. Daß Kriminalität oder auch sonstiges abnormes Verhalten auch "Resultat eines komplizierten Interaktionsprozesses zwischen dem Individuum und seiner Umwelt" (Rasch in: Rechtsprobleme in der Psychiatrie, 3. Aufl. 1981, 43) ist, bleibt bei der statischen Theorie Kurt Schneiders außer Betracht. Wie auch Jaspers, so stand Schneider auf dem Boden des triadischen Systems Kraepelins. Für Schneider ist die Psychiatrie die "Wissenschaft vom seelisch Abnormen", die auf zwei Säulen ruht: Somatologie (Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten) und Psychopathologie ( (K. Schneider, Psychiatrie heute, 1960, S. 6 - 11). Nachfolgend soll allein die zweite Säule interessieren, bei der sich Schneider durch eine Typologie der sog. psychopathischen, genauer: abnormen Persönlichkeiten profilierte, die in Schneiders "Lehre" von den abnormen Persönlichkeiten 'abnorme Varianten der Erlebnisverarbeitung' oder auch 'außerdurchschnittliche Spielarten' heißen. Schneider sucht sich der Unterstellung, zu den genetischen Deterministen zu zählen, mit folgendem entlarvenden Satz zu entziehen: "Darunter versteht er (der Psychiater) nun keineswegs etwas immer Erbliches, sondern versteht ganz schlicht etwas dem Menschen Mitgegebenes, dem Leben Vorgegebenes." Nachfolgend soll und Kurt Schneiders berühmte Definition der psychopathischen persönlichkeit von 1923 beschäftigen: "Psychopathische Persönlichkeiten sind solche abnormen Persönlichkeiten, die an ihrer Abnormität leiden oder1 unter deren Abnormität die Gesellschaft leidet." Diese Formel ist eng verbunden mit der Schneiderschen Psychopathen-Typologie. Sie gilt bis heute, wenn sie oftmals auch leicht euphemistisch abgewandelt Diese fatale Schneider-Formel weist auf einen Vorläufer hin, nämlich den Heidelberger Philosophen Wilhelm Windelband, der seinerseit Karl Jaspers habilitierte und dessen "Freund und Nachfolger" wiederum Kurt Schneider wurde. Windelband hielt 1906 einen Vortrag in der Heidelberger forensisch-psychologischen Vereinigung: Über Norm und Normalität. Mit großer Wahrscheinlichkeit war dieser Vortrag Windelbands, der als Sonderdruck vorlag, Ausgangspunkt für Schneiders griffige Formel, ging es doch um die Entwicklung von Kriterien zum Zwecke der Aussonderung sozialschädlicher "Varietäten" oder auch 'Variationen' (Schneider übernimmt den letzteren Begriff von Windelband). Windelband differenzierte zwischen einer quantitativen Normalität (auch: quantitativer "Normbegriff" = Durchschnitt = normal) als Norm des Seins und dem qualitativ-teleologischen Normbegriff als Norm des Sollens. Schneiders Psychopathen-Typen-Lehre "akzentuierter" Persönlichkeiten schließt sich an Windelband an, wenn dieser sich auch noch auf den empirisch-statistisch zu ermittelnden Durchschnittstypus beschränkte, dem er den Idealtypus (als qualitativ-teleologische Norm) gegenüberstellte, schritt Kurt Schneider zu einer typologischen Erfassung fort, die gesellschaftspolitisch verwendbare Kategorisierungen beinhaltet. Zeitgleich und später formulierten andere Autoren weniger politisch zu mißbrauchende Typologien, etwa Carl Gustav Jung (Psychologische Typen, 1921), der, versöhnlicher, zu jedem Typus gleich auch den immanenten "Gegentypus" erfand oder Leonhard mit seinen "akzentuierten Persönlichkeiten". Die Typisierungssucht stammt v. a. aus der Kriminalbiologie, zu deren frühen Protagonisten Karl Birnbaum zählte: Erkennen und Typisierung der Psychopathen wurde als eine der wichtigsten Aufgaben im Strafvollzug angesehen. Birnbaum geht, wie seine Kollegen vom "pathologischen Untergrund des Querulierens" aus, dessen Gefühlsleben in der Hauptsache "abnorm angelegt" sei und somit die "psychopathische Persönlichkeitsartung" erklärt (Karl Birnbaum, Die psychopathischen Verbrecher, 1926, S. 39, 44): Die Nähe zu Kurt Schneider ist unübersehbar. Nach Rasch wird Kurt Schneiders Psychopathen-Definition von vielen deutschen Psychiater regelrecht als Dogma verteidigt (NStZ 1982, 178). Pars pro toto sei nur der bekannte Gutachter Henning Saß Dort heißt es nämlich unter "Definition von Persönlichkeitsstörung" (Schaubild Nr. 4): Eine Persönlichkeitsstörung liegt vor, wenn durch
Ausprägungsgrad und/oder die besondere Konstellation
von psychopathologisch relevanten
Persönlichkeitszügen erhebliche subjektive Beschwerden
und/oder nachhaltige Beeinträchtigungen
der sozialen Anpassung entstehen. (Saß, 1986, 2006) Saß lieferte damit den Beweis für das Weiterleben der fragwürdigen Kurt-Schneider-Formel in der deutschen forensischen Psychiatrie. Entlarvend, als Saß 2006 (in: Schneider, Entwicklungen, 398) beim wiederholten Zitat der Kurt-Schneider-Definition 'soziale Anpassung' durch 'soziale Kompetenz' ersetzte: Anpassung ist nicht gleich Kompetenz! U mso bedenklicher müssen heute die weiterführenden Erläuterung Kurt Schneiders erscheinen: Der Jurist Seelig übersetzte die Schneider-Definition des Psychopathen denn auch kurz und griffig: "Versager oder Störer" (Ernst Seelig, Lb. d. Kriminologie, 1951, 143). Seelig milderte die Schneidersche Psychopathen-Definition zwar, daß er einräumt, daß es neben den Schneiderschen "Minusvarianten" auch Plusvarianten unter den Psychopathen gäbe und nennt einige große Künstler: Kleist, Hölderlin, Schumann oder Rembrandt (a.a.O., 144). Jedoch hält Rasch zutreffend fest, daß der Begriff Psychopathie im Zusammenhang "mit der Idee des Verfalls, der Degeneration, der Minderwertigkeit" konzipiert wurde (NStZ 1982, 179): Ausdruck der Minderwertigkeit (der Schneiderschen 'Variationen') sei es ja gerade, sich nicht normgemäß zu verhalten. In zahlreichen Veröffentlichungen fände sich als Stereotyp: diese Minderwertigkeit der Störer sei Symptom einer Anlage. Psychopathen seien nicht behandelbar. Nach der Schuldfähigkeitslehre Kurt Schneiders seien Psychopathen jedoch (oder gerade deshalb?) weithin schuldfähig, dies sei ein verehrtes Dogma (Rasch, aaO., 180, 181).2 "Kurt Schneiders Einteilung entfaltet aus der Beschreibung jeweils hervorstechender Eigenschaften ein charakterologisches System" - so verstand W. J. Grundl dessen Typologie (Grundl, Diss. Würzburg, 2006, 139). Für Janzarik hingegen war der Schneider'sche "auf einen soziologischen Ansatz gegründeten Psychopathie-Begriff" das "wirklich Neue" (Werner Janzarik, Jaspers, Kurt Schneider und die Heidelberger Psychopathologie. In: Karl Jaspers. Philosoph, Arzt, politischer Denker. 1986, 120f). Wenn dann aber Janzariks unkritische Lobhudelei auf Kurt Schneider nicht einmal vor dessen soziologischer Typologie halt macht, kann dies eigentlich nur erschrecken, denn: die vielzitierte, aber nur selten hinterfragte Formel ist geradezu ein Symbol einer der deutschen Staatspsychiatrie immanenten Unredlichkeit: Es geht Schneider mitnichten um den Einzelnen, der um ärztliche Hilfe nachsucht, sondern allein um den Blick von oben auf den "Störer". Maßgebliches Differenzierungskriterium ist für Schneider nämlich die abnorme !) Reaktion. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Kurt-Schneider'sche Psychopathenbegriff statisch zu verstehen ist; der psychodynamische Hintergrund interessierte nicht, eine Fragestellung, die gerade auch in einer Begutachtungssituation von erheblicher Relevanz ist. Janzarik trug den Ungeist seines Lehrmeisters Kurt Schneiders, in mit Literaturzitaten überbordendem Schreibstil unverhüllt weiter: So liegt seinem "Strukturdynamischen Ansatz" die Annahme einer Dominanz angeborenen Verhaltens zugrunde. Und mehr noch: Janzarik weist sich gar als Epigone NS-typischer Züchtungsphantasien aus, wenn er bedauert: "Das breite Erfahrungswissen des Züchters über Unterschiede zwischen Tierrassen und Tierindividuen ist noch nicht in psychopathologisch verwertbare wissenschaftliche Aussagen eingegangen." (Janzarik, Strukturdynamische Grundagen, 1988, S. 90). Da gibt es eine 'gesunde' Spiebreite seelischer Eigenart, die von "psychopathologisch relevanten Varianten" bzw. "psychopathologisch beachtenwerte strukturelle Varianten" abzugrenzen ist. Und es ist die Rede von "gesunden Durchschnitt" bzw. einer "gesunden und erwünschten Norm". Immer wieder also geht es Janzarik um die Bedeutung genetischer Faktoren. Bleibt anzumerken: Hennig Saß hat sein Manuskript "kritisch durchgearbeitet" (aaO., 5). Die deutschen psychiatrischen Traditionalisten sind sich einig in der Ablehnung jüdisch-amerikanischer Einflüsse und pflegen ihre Feindbilder: "Die durch Soziologie, Sozialpsychologie und Psychoanalyse von Grund auf verwandelte nordamerikanische Psychiatrie ... " (aaO., 8) Immerhin regten sich bei sensibleren Kollegen Bedenken, so etwa bei dem Münchner Psychiater Prof. Dr. Werner Mende, der die "ausschließlich anlagemäßige Determinierung abnormer Persönlichkeiten" gemäß der "klassischen Psychopathielehre Kurth Schneider's" infrage stellte (Psychiat. Prax. 1/1974, 220), da man heute wisse, daß "seelische Prägungen nicht nur in der frühen Kindheit, sondern auch durch das soziale Umfeld und reale Belastungen im späteren Leben gesetzt wwerden können." Mende plädierte denn auch für eine verstärkte Hinzuziehung von Psychologen und sogar Psychoanalytikern bei psychiatrischen Begutachtungen in der Forensik. Mende betonte später (FS Paul Bockelmann, 1979, 312), daß die Kurt-Schneidersche Dogmatik (seelische Abnormitäten sind nur dann krankhaft, wenn sie auf Organprozessen beruhen) von den maßgebenden Psychiatern der damaligen Zeit (Kretschmer, Bleuler, Bürger-Prinz, H. Schultz) nicht akzeptiert worden sei. Petrilowitsch mühte sich vergeblich, "die viel gerügte Statik der bisherigen Psychopathieforschung zu überwinden" (Abnorme Persönlichkeiten, 1960, S. 3). Letztlich schwamm er weiter in der Tradition des bewunderten Kurt Schneider, da half es auch nicht, daß sich Petrilowitsch in der Einleitung zu der von ihm herausgegebenen "Psychologie der abnormen Persönlichkeiten" (1968) mit dem "angekränkelten" Begriff Psychopathie beschäftigt, den man vielerorts durch "abnorm" ersetzt habe. "Grund und Boden" (ebd., Leferenz, S. 402) ist aber eben doch die Psychopathologie Kurt Schneiders. Der politische Relevanz der Schneider'schen Psychopathen-Typologie, die uns hier beschäftigt, wich das Gros der Fachkollegen bis heute aus. Vorrangig in der Kurt-Schneider'schen Typologie ist der Gesellschaftsbezug im Sinne von Anpassung. Die Frage der Verhältnismäßigkeit der Reaktion des Untertans stellte sich ihm nicht, denn im Hintergrund stand für Schneider fest, daß die angeborene Konstitution für menschliches Verhalten ausschlaggebend ist. Hier überhaupt liegt der Urgrund der deutschen psychiatrischen Forschung und Lehre: Anlage, Erblichkeit auf der einen Seite, Unverbesserlichkeit, d. h. Unwert, auf der anderen. Unter Janzariks Klinikleitung kam es in Heidelberg allmählich zur Rückbesinnung auf das statische, klassisch-psychopathologische Denken in der Tradition Karl Jaspers, dem einzigen (!) Lehrer Kurt Schneiders, dies nach eigener Bekundung (Janzarik, aaO., 117). Karl Jaspers und Kurt Schneider bildeten zusammen den Kern der älteren, obrigkeitsorientierten deutschen "Heidelberger Schule", mit den Charakteristika philosophische Abstraktheit, besonderes Interesse für große Persönlichkeiten, Charakterologie3, "Weltanschauungen", "Lebensfomen". Höhepunkt der Charakterologie waren die 30er Jahre mit Klages, Lersch und Künkel, insbesondere in der beginnenden NS-Zeit. Nach Klemperer ist das Adjektiv 'charakterlich' sogar eine "Neuprägung der Nazis" (Viktor Klemperer, LTI) Ähnliches gilt für den Begriff 'Weltanschauung'. Führende deutsche Nachkriegs-Psychiater, so etwa Hermann Witter, erfuhren anhaltende Prägungen in der NS-Zeit, die erst seit den 68er Jahren - eher zart als nachhaltig - rissig wurden. V a. in totalitären Systemen dienen Typologien der Selektion. So sind Kurt Schneiders soziologische Typen4 in Wahrheit zweckgerichtete Etikettierungen aus dem Blickwinkel "von oben" - eine in ihrer "Klarheit und Einfachheit" wahrhaft "geniale Abbreviatur" (Heinz Häfner, Karl Jaspers, 1986, 87). Die Beschreibung eines sozialen Typus oder Tätertypus - sprich die Tätertypenlehre - ersetzte in der NS-Zeit zunehmend das konkrete Verhalten (Jörg Wolff, Zs. f. Neuere Rechtsgeschichte 1991, 51) - in Analogie zu Kurt Schneider Hang zur typologischen Erfassung und damit Vereinfachung der Bewertung von Persönlichkeiten? Gleichermaßen zutreffend wie bedenklich ist, wenn etwa Hermann Witter (1972) die Schneider'sche "auf empirische Beobachtungen gegründete unsystematische Typologie" als die für den psychologisch-psychiatrischen Sachverständigen "bei weitem wichtigste klinische Gruppierung" bezeichnet (Hb. d. forensischen Psychiatrie, S. 525, 988). Hiernach verwundert es auch nicht, wenn Schneiders berühmte Definition noch immer durch die Jurisdiktion geistert, als sei sie das 11. Gebot, siehe nur die BGB-Entscheidung, dort Rn. 26 (ohne Randnummern abgedruckt in NJW 2004, 1811 f ). So beauftragte denn auch die Generalbundesanwaltschaft den Kurt-Schneider Adepten 1973 Prof. Dr. Witter mit der Begutachtung Ulrike Meinhofs, der er eine Szintigraphie aufzwang, s. a. Kursbuch 32 (173), 104f. Immer noch also bedient sich die deutsche Klinikpsychiatrie - Gegenpol war die Psychodynamik mit ihrem Korrelat Psychoanalyse - unbeirrt von der Schneider'schen Psychopathen-Definition. So etwa ersetzte die Charité klammheimlich - ohne Nennung der Quelle (Kurt Schneider) - "Gesellschaft" durch "Umgebung" und, natürlich, "Psychopathie" durch "Störung", siehe das nachfolgende Zitat: "Als Persönlichkeitsstörung bezeichnet man ein psychiatrisches Krankheitsbild, bei dem der Patient Charakterausprägungen hat, die in Intensität, Dauer und Inhalt deutlich von der Norm abweichen. Die betroffenen Personen sind dadurch einerseits einem besonderem Leidensdruck unterworfen, andererseits leidet häufig auch die Umgebung unter den entsprechenden Krankheitssymptomen." In einer BGH Entscheidung vom 17.4.1958 wird Psychopathie als 'Charaktermangel' im Sinne einer kriminellen Veranlagung (!) behandelt, die denn auch in der Regel keinen 'Krankheitswert' habe und nicht exkulpieren könne (NJW 1958,2123). Analog kommt Saß, Psychiater und vielbeschäftigter Gerichtsgutachter, direkten Weges zur Diagnose "Anpassungsstörung": Eine
Persönlichkeitsstörung liegt vor, wenn durch Ausprägungsgrad
und/oder die besondere Konstellation von psychopathologisch relevanten
Persönlichkeitszügen erhebliche subjektive Beschwerden und/oder
nachhaltige Beeinträchtigungen der sozialen Anpassung entstehen. (Saß,1986 und 2006) Kein Wunder, daß auch der BGH auf Kurt Schneiders berühmte Psychopathen-Definition rekurriert, freilich ohne Berufung auf die Ausgangsquelle Kurt Schneider. Als Beispiel sei genannt: BGH 21.01.2004, Rn. 26: als Quellen werden genannt: Venzlaff/Foerster, Rasch, Nedopil und Saß; siehe dazu: Lammel/Felber/Sutarski/Lau (Hg.): Forensische Begutachtung bei Persönlichkeitsstörungen, S. 113. Zwischen Krankheit und bloßer Abnormität klafft denn auch, nach Schneider, ein tiefer Graben: psychiatrische Krankheiten seien stets Gehirnkrankheiten. Bei Psychopathen gehe es demnach um ein Leiden ohne Kranksein. Damit ist das entscheidendere Merkmal des Psychopathen nicht seine Abnormität, sondern sein L e i d e n an der Abnormität. Folglich bestehe "also keinerlei sachliche Veranlassung, die abnormen Persönlichkeiten krankhafte zu heißen"5. Zu beachten ist die neutrale (medizinische) Diagnose psychischer "Störungen" und dem (soziologisch/politischen) Etikett des "Störers", also des 'sozial' Auffälligen. Ersterer mag unter seinen Störungen leiden, obwohl dies keineswegs zwingend der Fall sein muß: die Gruppe der 'sozialen' Störer - und hierzu zählen insbesondere die sog. Querulanten - leiden i. d. R. gerade eher nicht! Störende Psychopathen verfügen über die Fähigkeit, andere, insbesondere staatliche Institutionen, zu stören - Scheider stellte denn auch fest: "Ein Idiot kann kein Psychopath sein." (Deutsche medizinische Wochenschrift, 74.Jg. Nr. 29/30, S. 894 - 29.Juli 1949) Wenn Kurt Schneider die Gesellschaft in seine Definition des Psychopathen hineinnimmt, ist die behauptete Wertneutralität nurmehr eine pseudowissenschaftliche Beschönigung, wenn er das Leiden der Gesellschaft unter einem Psychopathen, in der dieser als Störer auffällt, aks ein Kriterium von "gänzlicher Subjektivität" ansieht (K. Schneider, Erstausgabe von "Die psychopathischen Persönlichkeiten" von 1923, S. 16). In der 6. "verbeserten" Auflage von 1943, dort S. 4f, versucht sich Schneider aus dem "soziologischen, ja politischen Psychopathenbegriff" herauszuwinden: "Nur soweit Störende ihrem Sein nach abnorme Persönlichkeiten sind, sind sie Psychopathen." Das zunächst zentrale Leiden der Gesellschaft (i. S. v. Schädigung der Gesellschaft durch "Konfliktpersönlichkeiten") ist jetzt verschwunden! Damit nicht genug: Wenn Kurt Schneider unter Persönlichkeit "das Ganze des (seelischen) Fühlens und Wertens, Strebens und Wollens" versteht, so fragt sich, wie er denn den Durchschnitt aller Persönlichkeiten wertfrei, d. h. ohne den richtungsgebenden Zeitgeist, im Klartext: ohne Wertnorm, ermitteln will. Was etwa wäre ein durchschnittliches "Streben", was ein abnormes? Insbesondere Hemmo Müller-Suur setzte eine Unterscheidung zwischen Real- und Idealnorm gegen Schneiders Durchschnittsnorm und bekannte sich dazu, daß es ohne Wertung nicht geht. Die Verschränkung des Individuums in den sozialen Kontext, d. h. die psychologische und soziologische Perspektive, ließ noch lange auf sich warten (Gernot Huppmann, Zum Begriff der Norm in der deutschen Psychiatrie, Diss. Würzburg 1975, 192f). Neben der Psychoanalyse gewann die Sozialisationsforschung erst seit der 68er-Bewegung nennenswert Raum und Bedeutung. Erich Wulff erkannte richtig, daß die Offenheit des Schneider'schen Systems, seine erklärt "unsystematische" Weise erlaube, "nahezu alle etwas prononcierteren Charaktertypen zu den Psychopathen zu schlagen" und "jeden, der in einer Krisensituation sozial auffällig wird, ... als abnorme Persönlichkeit zu klassifizieren." (Wulff, Psychiatrie und Klassengesellschaft, 1972, 307) Und Weinberger schreibt 2016: "Während etwa die bisher so genannten „Psychopathien“
(Kurt Schneider, RB 1/15, Fn 16) lediglich
akzentuierte Charaktereigenschaften markierten, bezeichnen
sie jetzt unter dem neuen Namen „Persönlichkeitsstörung“
klar seelische Krankheiten", womit er zu Recht auf die Gepflogenheit hinweist, daß häufig die lediglich der Verständigung dienende Klassifikationssysteme (DSM / ICD) als Krankheits-Diagnosen mißbraucht werden. Schneiders Kernaussage - häufig falsch rezipiert - lautet: Psychopathie ist wesentlich anlagebedingt, im Klartext: unveränderlich, genetisch, mithin nicht behandelbar. Hieraus folgt, daß Schneider, wie zuvor schon Kraepelin, auch reaktives Verhalten eines Psychopathen als erblich ansieht (Die psychopathischen Persönlichkeiten, 1943, 12f), letzlich abhängig von dem ererbten Temperament (Hoffmann, Über Temperaments-Vererbung, 1924). Ein viel benutztes Schlagwort der NS-Zeit für erbliche Psychopathie lautete denn auch: "abartig"6. Die Dominanz der Erbanlage gipfelte seinerzeit in der "Kriminalbiologie" (s. u. Robert Ritter). Die Diskussion um den "freien Willen" belebte sich jüngst aufgrund von Befunden der Neurowissenschaft, die glaubt nachweisen zu können, daß die Defekte eines Delinquenten "angeboren oder meist in früher Kindheit erworben wurden." Texte zur Wirkungsgeschichte Kurt Schneiders und Ernst Kretschmers: - file:///C:/Users/das/Downloads/9783642126888-c1%20(1).pdf (Christian Laue: Evolution, Kultur und Kriminalität, 2010) (Michael Wink (Hrsg.): Vererbung und Milieu, 2001, darin: Dölling/Hermann, Anlage und Umwelt aus der Sicht der Kriminologie, S. 153-182) Nach dem Kriege suchte sich Schneider dann aber zu verteidigen, indem er in der 9. Auflage von 1950 (S. 57) einerseits von der "Blindheit für die Anlage" beklagt, andererseits aber beteuert, er habe "nie behauptet", Psychopathien seinen grundsätzlich "auf erbliche Anlagen zurückzuführen". Tatsächlich geht Schneiders Psychopathen-Definition jedoch unverändert von einer angelegten Abnormität aus, es handelt sich also gerade nicht um reaktives Verhalten gemäß dem Vulnerabilitäts-Streß-Modell. Wenn der Schneider-Adept Heinz Leferenz in Anwendung der Typologie Kurt Schneiders bereits die Gruppe der Nicht-"Formbaren" straffälligen Jugendlichen beschreibt, bei denen schwache Intelligenz, "niedriges Persönlichkeitsniveau" und "erhebliche allgemeine Triebhaftigkeit" vorliege, bei gleichzeitiger "Verkümmerung der sog. höheren Strebungen", so sei dies der Typ der "negativ-triebhaften Persönlichkeit" mit starker Anlagekompenente. Leferenz schließt mit dem markigen Satz: "Unser Grund und Boden ist dabei die Psychopathologie Kurt Schneiders." Die Blut-und-Boden-Ideologie des NS-Darwinismus lebte in der frühen Bundesrepublik und ganz besonders in den Exponenten der führenden Heidelberger Psychiatrieschule fort. So mußte Alexander Mitscherlich denn auch Heidelberg verlassen, nachdem er Medizin ohne Menschlichkeit (Wissenschaft ohne Menschlichkeit) publiziert hatte. Kurt Schneiders Typologie leitet sich vom beobachtbaren Verhalten ab, das Leiden verursacht. Dabei geht es ihm - logischerweise - nur um das über das ganze Leben hinweg überdauernde, von der Durchschnittsnorm graduell abweichendem Verhalten und nicht um akzidentielle Reaktionen. 'Persönlichkeit' steht bei Kurt Schneider also letztlich für 'Charakter'. Weichere, psychoanalytisch orientierte Psychiater suchten zu relativieren. So etwa schreibt Walter Bräutigam (Reaktionen Neurosen Psychopathien, 1969, 131f), daß die "sehr gebräuchliche" Unterscheidung Psychopathie sei angeboren, Neurose durch frühkindliche Umwelteinflüsse erworben, in dieser Ausschließlichkeit nicht zutreffe, denn auch bei Neurosen spiele die Anlage eine Rolle und bei der Psychopathie wirkten die Umwelteinflüsse mit. Sodann zitiert Bräutigam einen Satz von Kurt Schneider, daß Psychopathen das Salz der Erde7 seien, um sich dann der überkommenden Begrifflichkeiten zu befleißigen, wie "Charakterstruktur"8, was nurmehr die Anlage meinen kann, die letztlich ursächlich sind für die "Anpassungsschwierigkeiten an die Umwelt", die aufgrund von 'Beziehungsstörungen'. Psychopathen zeichnen sich durch überdurchschnittliche Extraversion aus, dies i. G. zu Neurotikern, die deutlich introvertierter sind als normale Kontrollgruppen. Soweit Bräutigam (aa.O. S. 136), weitgehend im Kielwasser Kurt Schneiders. Es gilt somit weiter, was Erich Wulff bereits 1972 konstatierte: Schneiders Werk von 1923 und damit die Anlagebedingtheit jeglicher Charakterausprägung sei bis heute (also 1972) "für die deutsche Lehrbuchpsychiatrie" bestimmend geblieben (Wulff, Psychopathie? - Soziopathie?, Das Argument 71, 64). Wenn Psychopathen tatsächlich "leiden", also einen Leidensdruck verspüren, stellt sich die Frage der Therapierbarkeit. Dies jedoch wurde und wird noch heute von Schneider-Schülern bezweifelt, was vermuten läßt, daß Schneider mit seiner Definition weniger auf das Leiden des Individuums, sondern vornehmlich auf das "Leiden der Gesellschaft" unter störenden Charakteren zielte. So sprach auch Walter Bräutigam, der seine psychiatrische Ausbildung u.a. bei Kurt Schneider genoß, den psychopathischen Persönlichkeiten gänzlich einen Leidensdruck ab, sie hätten "kein seelisches Krankheitsbewußtsein, sie litten nur unter den anderen, den Umständen, nicht unter sich selbst." Die eminent politische Dimension der Schneider'schen Theorie und damit ihre Gefahr ist, bei genügend kritischer Distanz, evident: Den (politischen) Begriff "Gesellschaft" läßt Schneider - wie einen unbestimmter Rechtsbegriff - völlig offen, räumte aber ein, daß es sich bei der Hereinnahme des Störenden um einen "soziologisch" w e r t e n d e n Gesichtspunkt handele, weshalb Vorsicht geboten sei, weil etwa ein Revolutionär für den einen ein Störer, für den anderen ein Erlöser sei. Diese Erklärung macht deutlich, daß Schneiders Psychopathenbegriff ein Pejorativum darstellt und damit ein politischer Begriff ist: Unter einem erfolgreichen Revolutionär leidet "die Gesellschaft" nicht; wer freiwillig folgt, leidet nicht. Kurt Schneiders Theoriegebäude paßte ideal zur NS-Ideologie, so daß man sagen kann: "Die Schaffung der Gruppe Psychopathie ... stellt den wissenschaftlich verbrämten Versuch der Diskriminierung einer bestimmten Menschengruppe dar" (Hans-Georg Güse/Norbert Schnacke, Psychiatrie zwischen bürgerlicher Revolution und Faschismus, 1976, Bd.1, 143, 148f). Im angelsächsischen Raum nämlich, insbesondere in den USA, versteht man unter "Psychopath" etwas anderes, nämlich nicht den Leidenden, sondern den Täuschenden - im Grunde das Idealbild des smarten, skrupellosen amerikanischen Geschäftsmannes (oder auch Politikers). Wenn der Psychoanalytiker Paul Parin Persönlichkeiten ansieht, "die keine Spannungen aushalten, die auf eine unmittelbare Befriedigung ihrer Triebbedürfnisse ausgehen, die darum häufig asozial, häufig antisozial werden" so bedeutet dies, daß der Psychopath die warnende Stimme des Überichs ausschaltet. (Parin, Die Abwehrmechanismen der Psychopathen. In: Psyche XV (1961), 322-329). Dem amerikanischen Psychopathen eng verwandt ist der Narzißt, hier ganz gut erklärt. Wenn die amerikanische Vorstellung des Psychopathen unkommentiert auf Arte vorgeführt wird, kann dies nur zur Verwirrung beitragen. In der Wikipedia findet der deutsche Psychopathen-Begriff à la Kurt Schneider nicht einmal Erwähnung, bzw. wird (für Deutschland unzutreffend) als "veralteter Begriff" dargestellt. Näheres unter VII. Begriffsdivergenz: Deutschland und Amerika. Zur Begriffsgeschichte in den angelsächsischen Ländern: Wolfgang Kallwass, Der Psychopath, 1969. Gleichwohl spiegelt die deutschsprachige Psychiatrie medizinische (in Schneider'scher Diktion: "klinisch wichtige") Wissenschaftlichkeit, also Objektivität und damit Wertfreiheit, vor. Immer wieder behauptet Schneider fälschlich, daß seine Psychopathen-Typologie keine soziologische9 sei und treibt damit - freilich versteckt - Politik - und zwar aus obrigkeitsstaatlicher Perspektive! Demgegenüber ist die Begrifflichkeit in der englischsprachigen Psychiatrie offen anwendungsorientiert und somit unverblümt soziologisch-wertend. Während sich der deutsche Psychiater auf Anpassungs-Schwierigkeiten (bei Schneider versteckt hinter der Normorientierung) kapriziert, geht es dem amerikanischen unverblümt um Erkennen und Abwehr der Gefahr, die Psychopathen für ihre Umgebung bedeuten (Robert Hare hat daher den typischen Psychopathen auch als »Raubtier in Menschengestalt« bezeichnet). Eine Zusammenstellung der anglo-amerikanischen Psychopathentypologie finden Sie hier. Der Deutsche definiert den Einzelnen aus der (gesamt)staatlichen Perspektive, den pragmatischen Amerikaner interessieren dagegen die Probleme zwischen den Individuen, d. h. nicht ihr Sosein, sondern ihr Verhalten. Dieses bis heute in den USA einflußreichste Konzept der "Psychopathie" entwickelte bereits 1941 insbesondere Hervey Cleckley. Cleckley lieferte die Grundlage für Hare's Checkliste und die späteren Konzepte der "Soziopathie" (DSM-I), der antisozialen Persönlichkeitsstörung (DSM-II und folgende) sowie der dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD-10). Wie diese US-Kategorisierung heutzutage dargestellt wird, siehe den folgenden Link. Glaubt man aktuellen deutschen Pressedarstellungen - auch DER SPIEGEL fehlt nicht - , so finden sich in der oberen Riege von Managern und Politikern massenweise Psychopathen. Die pragmatische amerikanische Psychopathen-Definition hat sich also auch in Europa verbreitet: die Differenz zur deutschen Psychiatrie, hier insbesondere zu Kurt Schneider, wird nicht einmal mehr erwähnt. Während es dem Amerikaner darum geht, Psychopathen zu erkennen, um ihnen nicht auf den Leim zu gehen, wird in Deutschland - insbesondere von Behörden und Gerichten - die Psychiatrie benutzt, um lästige "kleine" Rechtsgenossen unschädlich zu machen, indem sie - als sog. Querulanten - von Experten als 'gestörte Persönlichkeit' psychiatrisiert werden. Eines ist beiden Systemen jedoch gemeinsam: beide, sowohl die klassische deutsche psychiatrische Lehre, als auch die amerikanische Psychopathen-Lehre halten Psychopathie für angeboren, also genetisch. Siehe dazu folgende kabarettreife Psychopathenshow: Signifikant für die ungebrochene deutsche Tradition ist dagegen die - immer noch aktuelle - Verteidigung des Schneider'schen Psychopathenbegriffs durch den Heidelberger Psychiater Karl C. Mayer, siehe dort im Glossar unter "Psychopathie Psychopath". Kurt Schneider stand in der Tradition des wilhelminischen Obrigkeitsstaates, für den Anpassung (=Normalität) an die Obrigkeit - also auch an die Gerichte als staatliche Institution - , Sanktionierung von Ruhestörung und Ordnungsdenken (Verwissenschaftlichung) charakteristisch war. Alles Anormale außerhalb von Krankheit mußte also "wissenschaftlich" typisiert und kategorisiert werden, um es faßbar zu machen. In Wahrheit ist die Wirklichkeitsanpassung das wesentliche Kriterium für Normalität oder Abnormalität (Wazlawick): Mit der Wirklichkeitsveränderung wandelt sich - nach Schneider- auch die Normalitätsskala. II. Kurt Schneider und das Dritte Reich. Schneiders charakteristische Suche nach Ordnung und Einfachheit kam dem juristischen Denken entgegen. Was ihm völlig abging, war eine psychodynamische (weder im interaktionellen, noch im psychoanalytischem Sinne) Betrachtung des reaktiven Verhaltens. Indem er die "Psychopathie" aus dem Bereich der Krankheit ausgrenzte, lieferte er sie weltanschaulichen Wertsetzungen aus (Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 1987, 85). So nimmt es auch kein Wunder, daß Kurt Schneiders "Die psychopathischen Persönlichkeiten" in der NS-Zeit ganze fünf Auflagen erfuhr, nämlich 1934, 1940, 1941, 1942 und 1944. Flugs nach der sog. Machtergreifung betonte Schneider: "Solche sozial wertende Definitionen können auch sonst einmal praktisch notwendig sein, insbesondere als Ausgangspunkt für die Untersuchung krimineller und verwahrloster Psychopathen" (K. Schneider, Psychopathie und Psychose, Nervenarzt 6 (1933), S. 337). Prof. Dr. jur. Edmund Mezger erklärte den Schneider'schen Psychopathenbegriff im Jahre 1939 denn auch ungeniert als keinesfalls völlig "wertfrei" (MSchrKrim 1939, 191). Mag die Schneider'sche Typologie erklärtermaßen auch wertneutral (jeweils auf das geltende Wertesystem bezogen, siehe: Petrilowitsch, S. 18f ) sein, sie zielt letztlich auf die soziale Bewertung. Merkmale und Eigenschaften, die an Menschen und ihren Handlungen 'festgestellt' werden, sind Abstraktionen zu einem bestimmten Zweck. Tatsächlich handelt es sich also um bloße Zuschreibungen (Heinz Steiner, Zur Aktualität der Etikettierungs-Theorie, KrimJ 1985, 29). Mit seinem Diktum "Wertneutralität" spiegelt Kurt Schneider wider besseres Wissen nurmehr Wissenschaftlichkeit vor. Petrilowitsch windet sich regelrecht um Kurt Schneiders Gesellschaftsbezug zum Verschwinden zu bringen und zitiert u.a. Kranz: "Wir tragen ...das Maß einer in den Bereich des Durchschnitts fallenden Persönlichkeit in uns, ..." Bereit 1938 wurde Schneider denn auch im Rahmen der sog. kriminalbiologischen Begutachtung deutlicher: Psychopathen sind abnorme Persönlichkeiten, die "mehr oder weniger in jeder Lebenssituation unter allen Verhältnissen zu inneren und äußeren Konflikten kommen müssen. Die Störer, unter denen die Gesellschaft leidet, stören infolge ihrer inneren Persönlichkeitsstruktur" und: "nicht schlechthin jeder Störende ist ein Psychopath, sondern er ist nur dann ein Psychopath, wenn das Stören einer an sich abnormen Persönlichkeit entspricht" (Mschr. f. Kriminalbiologie, 1938, 356, 365). Kurt Schneider, wie zuvor bereits Wilmanns (Die sogenannte verminderte Zurechnungsfähigkeit, 1927), war immer auch von praktischen Erwägungen geleitet, So propagierte er, daß Psychopathen nur in Verbindung mit hochgradigem (!) Schwachsinn zu exkulpieren (also nicht zu bestrafen) seien. Die zugrunde liegende, 'praktische' Erwägung dabei war, die Anstalten zu entlasten. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts hielt es denn in der NS-Zeit auch für verfehlt, "Psychopathen durchweg milder zu behandeln als Gesunde; der geistig minderwertige Mensch muß sich bemühen, seine gemeinschaftsgefährlichen Anlagen durch besondere Anstrengungen auszugleichen, eine strenge Strafe kann geeignet sein ihn auf diese Notwendigkeit besonders eindringlich hinzuweisen." (RG 25.11.1941. DR 1942, 329) Bewertung von Menschen lag im Trend des totalitären NS-Staates. Wenn Schneider in der 6. Auflage seines Standardwerkes von 1923 (Die psychopathischen Persönlichkeiten, 1944, S. 4) wiederholt: "Psychopathen sind abnorme Persönlichkeiten, die i n f o l g e i h r e r P e r s ö n l i c h k e i t s a b n o r m i t ä t m e h r o d e r w e n i g e r i n j e d e r L e b e n s s i t u a t i o n, unter allen Verhältnissen zu inneren und äußeren Konflikten kommen müssen", so heißt dies: Der Psychopath "muß", er kann nicht anders, und zwar erblich bedingt. Schneiders Erblichkeitsthese lebte nach dem Kriege weiter. So heißt es am Ende eines BT-Ausschuss-Sitzungsprotokolls vom 13.4.1961 (in Fragen der Entschädigung von Zwangssterilisierten): "Bei der Psychopathie, einer Abnormität der Persönlichkeit, die sozial sehr störend sein könne, seien die Erblichkeitsverhältnisse umstritten." Damit lieferte Schneider eine Steilvorlage für NS-typische Unerbittlichkeit bis hin zur Ausmerzung. Schneider höchstselbst setzte diese Erkenntnis denn auch als Militärarzt gegen sog. Kriegszitterer um. Hierzu diente ihm sein Krankheitsbegriff: "Krankheit gibt es nur im Körperlichen." Psychopathische Persönlichkeiten sind, auch wenn sie leiden, doch nicht krank. Parallel dazu ersetzten NS-Strafrechtler den Begriff 'Charakter' durch den Begriff "Lebensführungsschuld" (Mezger, ZStW 57, 1938, 675ff ), um sog. Gewohnheitsverbrecher härter bestrafen zu können. Dies legte den Grund für eine gnadenlose Selektion im totalitären NS-System: In der Praxis Kurt Schneiders als Beratender Psychiater an der Front, vertrat Schneider 1942 - durchaus "Gesellschafts-", d. h. Zeitgeistkonform - das Konzept der "frontnahen Psychiatrie", um den als solche diagnostizierten Psychopathen den Weg in die Heimat zu verbauen. Ggf. müsse man sie erschießen lassen, gelte es doch "mit allen Mitteln das Einreißen von Feigheit zu verhindern und die Kampfkraft auf der Höhe zu halten." (Goltermann, Die Gesellschaft der Überlebenden, 2009, 187; Blaßneck, Militärpsychiatrie im Nationalsozialismus, 2000, 48) Es ging also um die Differenzialdiagnose, im Klartex: Selektion mittels Zuweisung zu den Kategorien krank oder psychopathisch. Schneider verstieß dabei bewußt, - eben "aus praktischen Gründen" - gegen sein Postulat der Wertfreiheit, indem er den Begriff "Gesellschaft" mit dem Zweck (Selbstaufopferung im Kriege/Tapferkeit) gleich setzte. Von 1939-45 wirkte Kurt Schneider, nebenbei Honorarprofessor am Klinischen Instituts der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München. wo er ab 1931 bereits die klinische Abteilung (100 Betten) leitete, als Kollege von Ernst Rüdin, der 1931 die Geschäftsführung dieses Instituts (heute: Max-Planck-Institut für Psychiatrie) übernommen hatte.
Daneben wirkte Kurt Schneider als sachverständiger Oberstabsarzt beim Kriegsgericht an der "Ausmerzung" von Psychopathen mit, bei dem "lediglich moralischer Schwachsinn" vorlag bzw. der "zwar geistig etwas beschränkt, aber vollverantwortlich" war, und befürwortete damit Todesurteile (Wüllner, Die NS-Militärjustiz, 1997, 707). Der "praktische Grund" war, daß das neue Strafrecht die Interessen der Volksgemeinschaft gegenüber dem Einzelnen in den Vordergrund rückte, weshalb sich Strafmilderungen wegen Unzurechnungsfähigkeit bei Psychopathen ganz verböten (Erich Schwinge, Die Behandlung der Psychopathen im Militärstrafrecht, Zs. f. Wehrrecht, 1939/40, 117). Wenn Kollege Gerd Huber (Gründungsmitglied des Kurt-Schneider-Preises) Schneider allerdings gar als NS-Gegner charakterisiert ("S. lehnte das NS-Regime und die NS-Ideologie kompromißlos ab...", dann riecht dies mehr als nach einem 'Persilschein' ... Kurt Schneiders typologische Kennzeichnung, "die überall paßt" und "ganz auf praktische Handlichkeit hinzielt" (Wyrsch, Gerichtliche Psychiatrie, 1946, 59) fand auch, obschon Fundgrube an Diskriminierungsvokabeln, in der Schweiz Verwendung! Schneiders Wirken blieb aber doch weit unauffälliger, als das des Psychologen Philipp Lersch, der sich mit der charakterologischen Auslese und seiner Kreation des "geborenen Herrenmenschen" hervortat (Klaus Weber, Vom Aufbau des Herrenmenschen, 1993), oder auch des Kollegen Schultz, des Erfinders des Autogenen Trainings. Kaum glaublich, der NS-Exponent Lersch wurde im Zuge der Entnazifizierung als "Mitläufer" eingestuft und behielt seinen Lehrstuhl an der Münchner Universität. Kurt Schneider hatte ähnliches Glück und erhielt 1946 einen Lehrstuhl in Heidelberg. Im Kriege hatte Schneider, wenn auch als "stiller Held", als Stabsartzt, Oberstabsarzt und Oberfeldarzt in der frontnahen Psychiatrie sowie schließlich als Oberstarzt der Reserve an den Erbgesundheitsgerichten als Gutachter zum Wohle des Deutschen Volkes gewirkt. Schneider gilt als einziger Psychiater von Rang, dem Hitler persönlich begegnete (Quellen: Bürger-Prinz, Ein Psychiater berichtet, 1971, S. 211ff; Bericht des Major Alexander). Friedrich Panse (Das Erb-und Erscheinungsbild der Psychopathen, 1940) übersetzte das Schneidersche Gedankengut in die Praxis: Psychopathen seien Störer der Gemeinschaft, die klinische Diagnose müsse durch die Sozialdiagnose ergänzt werden, was für die Wehrmacht heiße: "rechtzeitige Erkennung, der richtige Einsatz oder die rechtzeitige Ausmerze der Psychopathen." (op.cit.S. 16) Wie ideologieabhängig die sog. Psychopathen behandelt wurden zeigt die Tatsache, daß im Gegensatz zu Schneider, der im Heer seine zentrale Aufgabe in Selektion und Bestrafung sah, andere Methoden in der Luftwaffe zur Anwendung kamen, denn hier war es M. H. Göring (Göring-Instituts in Berlin), der die tiefenpsychologische Schule vertrat und versuchte, "psychosoziale und intrapsychische Konflikte zu erkennen und aufzulösen." (Blasneck, Militärpsychiatrie, 2000, 70) H. W. Kranz (Die Gemeinschaftsunfähigen, Ein Beitrag zur wissenschaftlichen und praktischen Lösung des sog. Asozialenproblems, 1939, Seite 137) legt zunächst die Schneider'sche Definition des Psychopathen zugrunde, um dann unverblümt festzustellen: "Damit ist auch begriffsmäßig klargestellt, daß der Psychopathie-Begriff eigens dazu erfunden scheint, um auch denjenigen Persönlichkeiten, die in ihrem sozialen Verhalten eine dauernde Abweichung von der Norm zeigen, aber sonst unauffällig sind, eine psychiatrische 'Diagnose' geben zu können. Je nach dem Standpunkt, den man gegenüber dieser Methode hat, kann man für diese Fälle das Ergebnis als eine Erweiterung und Bereicherung der medizinischen Kenntnisse bezeichnen, oder als eine medizinische Tarnung einer eigentlich soziologischen Diagnose." In der NS-Ära konnte offen und klar ausgesprochen werden, was bis heute nur wenige Psychiater erkennen oder besser: zugeben wollen, dass nämlich der zweite Teil der berühmten Psychopathen-Definition Kurt Schneiders eine Camouflage darstellt, nämlich eine Tarnung zum Zwecke einer gesellschaftspolitischen Selektion mittels einer pseudo-psychiatrischen Diagnose. Schneiders Warnung vor Mißbrauch des Gesellschaftsbezugs ändert nichts an der Tatsache, daß er den Bereich der medizinischen Wissenschaft verlassen hatte, wenn er im Grunde soziologische Typen in sie einführte. Wehrle (JuS 1989, 952ff) erläutert bei der Besprechung der Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. Sept. 1939, dass die Konstruktion von Typen, wie "Volksschädling" (oder "Versager" im Entwurf eines Gemeinschaftsfremdengesetzes) bezweckte, dem Richter eine "gewichtige Waffe" zur "Reinigung des Volkskörpers" durch Unschädlichmachung in die Hand zu geben. Der Justizwillkür war dabei kaum eine Grenze gesetzt. III. Kurt Schneider nach dem Krieg. Nach dem Kriege ließ sich Schneider, wie üblich, als passiven Widerstand geleistet habender hochstilisieren. Tatsächlich jedoch hielt Schneider die Offenlegung der NS-Euthanasie für nicht tragbar, indem er meinte, „dass man dem Stand (!) des Psychiaters, ja des deutschen Arztes überhaupt, und dem Wiederaufbau und der Bemühung um neues Vertrauen einen schlechten Dienst erweist, wenn man diese Dinge so mit Einzelheiten aufrollt.“ (Kurt Schneider an Gerhard Schmidt, 16. März 1947). Zu ähnlicher Einschätzung der Haltung Kurt Schneiders zur Euthanasie nach 1945 gelangte Dirk Blasius (in: Psychiatrie im Abgrund, 1991, S. 131ff) - und beschrieb diese - treffend - mit "Stille". 1948 versuchte sich Schneider, nun Professor und Dekan sowie kurze Zeit (1951/52) auch Rektor in Heidelberg, zu rechtfertigen: Das psychiatrische Interesse richte sich eben auf die irgendwie negativen Varianten, räumt Scheider ein, sodann: "Psychopathentypen sehen aus wie Diagnosen", weiter: "daß es an der psychopathischen Persönlichkeit etwas Angelegtes gibt, ist außer jedem Zweifel", und gleich darauf ein Hieb gegen die Psychoanalyse: "Das was wir als Anlage betrachten, als frühkindliche Konfliktfolgen aufzufassen und also doch wieder verstehen zu wollen, führt in ein undurchdringliches nur mit Phantasie aufhellbares Dunkel." (Schneider, Kritik der klinisch-typologischen Psychopathenbetrachtung, Der Nervenarzt, 1948, 6-9). Nun muß man wissen, daß Schneider das Kriterium des Leidens für Pathologie - für uns interessant: das Leiden der Umwelt - von dem Psychiater Julius L. A. Koch übernommen hatte - aus der "Umwelt" wurde bei Schneider die "Gesellschaft". In der Neuauflage seiner Psychopathischen Persönlichkeiten von 1950 wiegelte Schneider ab: er habe nie behauptet, Psychopathien seinen grundsätzlich "auf erbliche Anlagen zurückzuführen" (S. 57) und: es bestehe die Gefahr, daß der einzelne Mensch nur noch formelhaft gesehen würde (S.56). Damit bewies Schneider: Er, Kurt Schneider; war nach eigener Definition kein Psychopath, denn er vermochte es, sich geschmeidig dem neuen Zeitgeist anzupassen. Seine Psychopathen-Lehre, die auf der Grundannahme der Erblichkeit des Charakters basiert war biologistisch. Nachgerade beunruhigend sollte sein, wenn Lorenz Böllinger 2014 in der forensischen Psychiatrie "eine seit den 90er Jahren gestiegene Tendenz zum Biologismus" glaubt erkennen zu können! Erst Kurt Schneiders Nachfolger, Walter von Baeyer, der 1955 nach Heidelberg berufen wurde, rückte - wie Mitscherlich - von diesem Standpunkt ab. Wenn sich Karl Jaspers für die Berufung Kurt Schneiders nach Heidelberg eingesetzt hatte, mag sich aus dessen Unkenntnis über die Rolle Schneiders im Dritten Reich, noch mehr jedoch aus dessen völliger Absenz soziologischer Betrachtungsweisen in Bezug auf die eigene Profession erklären. Jaspers vertrat, ebenso wie Schneider, ein statisches Modell und stand generell dynamischen Ansätzen, somit auch der Psychoanalyse, vollkommen ablehnend gegenüber. Schlimmer noch: Sowohl Kurt Schneider als auch Karl Jaspers standen der Aufarbeitung der fatalen Rolle deutscher Psychiater in Zusammenhang mit der Euthanasie ablehnend gegenüber, sie vermeinten, dies würde der deutschen Psychiatrie schaden (!). Erst W. v. Baeyer öffnete sich gegenüber einer kritischen Aufarbeitung der deutschen Euthanasie-Verbrechen. In einem Vortragsmanuskript (Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, 1948) erläutert Schneider zunächst seine Rubriken seelischer Abnormität, um dann zur "Auslegung" des § 51 StGB zu kommen. Auf Seite 22 heißt es: "Nur sehr zögernd gehe man an die Anwendung von § 51 Abs. 2 (jetzt § 21 StGB) auf psychopathische Persönlichkeiten heran. Würde das die Regel, entstünde eine, jedenfalls kriminalpolitisch, unheilvolle Lage." Da haben wir den "wertneutralen" Sachverständigen Kurt Schneider: seine Werturteile dienen der Politik! Keine Dekulpierung (Strafmilderung) für Psychopathen; allenfalls könne man "einem "explosiblen Psychopathen" vielleicht für eine Beleidigung §51 Abs.2 zuerkennen, nicht aber für einen Diebstahl." Aber dies sei ein "heikler Punkt", denn dann würden fast alle Schwerverbrecher, etwa Sexualverbrecher, milder als Gelegenheitsverbrecher verurteilt werden müssen - "kann man dies verlangen?" Schneider schließt mit dem Eingeständnis: "Wissenschaftlich ist das nicht begründbar" und: "Die hier überall und unmittelbar logisch und praktisch aufsteigenden Schwierigkeiten liegen außerhalb der Verantwortung des Sachverständigen." Der Psychiater als Gerichtshelfer, als Mittel zum Zweck. Schwer vorstellbar, daß sich diese für den Einzelnen nicht selten unheilvolle Rolle nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und des damit für alle geltenden neuen Menschenbildes, gewandelt hat, wenn der Jurist Richard Lange noch 1983 Kurt Schneiders aufgestellter Typik einen "hohen Erkenntniswert" zuschrieb (Lange, Kriminologische Krisenherde. In: FS Heinz Leferenz, 1983, 27, 29). Richard Lange ist einer der vielen NS-Justizkoryphäen, siehe nur Langes Frühwerk "Strafe und Erziehung im Jugendstrafrecht" (Schaffstein (Hg.), Weg und Aufgabe des Jugendstrafrechts, 1944, 53-89), wo es nur wimmelt von Vokabeln wie "Lebensführungsschuld", "schädliche Neigung", "Unschädlichmachung" und "nach der Tätertypologie zu Beurteilenden", die ihre Karriere - charakterlich entnazifiziert - in den BRD-Rechtsstaat hinüberretten konnten, siehe insbes.: R. Lange, Der jurististische Krankheitsbegriff (Beiträge zur Sexualforschung 28. Heft, 1963, S. 1 - 20) An diesem Erbe knapsen wir noch heute: Paul H. Bresser etwa sprach noch 1967 in seinem Gutachten über Jürgen Bartsch von "schwerer Lebensführungsschuld". Langes Gegnerschaft gegenüber der Psychoanalyse verbindet ihn mit Schneider und Jaspers. Das kann kaum überraschen, entscheidet doch der Psychiater wie auch der Jurist letztlich aufgrund seines höchstpersönlichen Verstehenshorizontes: für ihn gilt,was er verstehen kann, nicht das, was er verstehen sollte. Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, daß Kurt Schneider, zusammen mit Ernst Kretschmer, Ehrhardt und Villinger, unter Beiziehung von Arnold und Panse, Mitglied der Unterkommission der Großen Strafrechtskommision war, und damit wohl auch mitverantwortlich für die Einführung des NS-belasteten Begriffs "Abartigkeit" in den neuen § 20 StGB ist (B. Wegener, Seelische Abartigkeit § 20 StGB. In: KJ 1989, 316-328). In Worten Wegeners: wir haben es mit "einem Personen- und Ideologietransfer aus dieser Zeit (gemeint: NS-Zeit) in die Bundesrepublik" zu tun. Die immer wieder von Kurt Schneider behauptete Wertfreiheit seiner Formel wird auch bei Wegener als reine Schutzbehauptung entlarvt! IV. Kritik an Kurt Schneider. Ein klassisches Beispiel von Pseudokritik an Kurt Schneider liefert aktuell Faust in seinem Internetauftritt, wo er rezipiert: Eine praktisch verwertbare Definition lautete (nach Tölle):
(eigener) Kommentar: Versteckt repliziert Tölle Kurt Schneiders Psychopathen-Definition, denn für "Gesellschaft" steht hier "Konflikte" und "oder" ersetzt Faust durch "und/oder". Immerhin räumt Tölle ein: "Es gibt keine überzeugende Systematik der Persönlichkeitsstörungen." (Tölle, Psychiatrie, 2000) das Gleiche "moderner": Heute gilt folgender "etwas modifizierter" Definitions-Kompromiss (nach Saß, 1987, 2006):
Dies zum Erkenntnisstande deutscher forensischer Psychiater (nach Faust), Zum unterschiedlichen amerikanischen Psychopathenbegriff siehe Faustens Filmchen. Bei seiner angeblich11 "wertfreien" Psychopathen-Typologie setzte sich Schneider denn auch ausdrücklich von den 'soziologischen' Typen Kretschmers ab, zu dessen soziologischen Typen u.a. Haltlose (Schwindler) und Streitsüchtige (Querulanten) zählten. Gleichwohl steht Schneider in Kretschmer'scher Tradition, denn dieser, fast gleichaltrig, hatte kurz zuvor, nämlich bereits 1921, sein Werk über "Körperbau und Charakter" vorgelegt, gefolgt 1929 von "geniale Menschen", das sich heute wie ein Gruselkabinett liest. Auf S. 27 etwa findet sich folgende Feststellung: "Die Mehrzahl aller Psychopathen sind Minusmenschen auch im Sinne iher sozialen Leistung." Dabei unterscheidet Kretschmer zwischen 'genialen Vollpsychopathen' (Michelangelo, Byron) und 'Durchschnittspsychopathen des Lehrbuchs'. Kretschmer, Schneider oder Seelig präferieren also den Durchschnitt, ihr Maßstab ist das 'Normale'. Vokabeln wie "soziale Leistung' oder allgemein 'Gesellschaft' werden wie selbstverständlich verwandt, sie stehen für das Selbtverständnis deutscher Psychiater als Hüter der herrschenden Verhältnisse durch Brandmarkung alles Unangepaßten. Der Schweizer Psychiater Jakob Wyrsch stellte sich 1960 gegen Kretschmer: "Vielleicht kommt beim einen oder anderen die Krankheit oder das Psychopathische hinzu, aber das Geniale und Schöpferische ist immer unabhängig und zuerst." (Wyrsch, Gesellschaft, Kultur und psychische Störung, 1960, 73) Kretschmer erwies sich als Exponent des spezifisch deutschen Hanges zur Typologisierung, dies immer mit Bezug auf den Durchschnitt - und dazu als Vertreter der Penetranz (Durchschlagkraft) des Anlagefaktors: was geradewegs zur Annahme führte, daß Neurosen anlagebedingt seien. Resultante dieser deutschen Theorie ist Dogma von der Anlage-Bedingtheit psychischer Leiden und Auffälligkeiten, und sei es nach mehrjähriger KZ-Haft12. Die Nähe der deutschen herrschenden Psychiatrischen Lehre zur NS-Rassentheorie kann kaum übersehen werden! Wenn nun Nedopil in seinem Mollath-Gutachten auf den Kretschmer'schen Begriff des sensitiven Beziehungswahns (Titel der Habilitationsschrift Kreschmers von 1918) rekurrierte - dazu zu Recht kritisch: Sponsel - so erwies er sich als Vertreter des starren Flügels der deutschen Psychiatrie. Nedopil schließt sich indirekt Weitbrecht (Neffe und Adept Kurt Schneiders) an, der, wie Onkel Kurt, Neurosen für konstitutionell hält, spricht Weitbrecht doch von einer "neurotischen Konstitution" (H. J. Weitbrecht, Kritik der Psychosomatik, 1955, S. 33, mit einem Geleitwort von Prof. Kurt Schneider). Schneider benutzt eine empirisch gewonnene ("einfach nach den hervorstechendsten Zügen13 gekennzeichnete") Typologie und unterschied 10 - hier noch ohne spätere Ergänzungen, wie den anakastischen oder schizoiden/paranoiden Typus - Psychopathen-Typen, unterschieden in den 1 - hyperthymischen (häufige Erscheinung bei Querulanten), 2 - depressiven, 3 - selbstunsicheren (auch: sensitive, anakastische), 4 - fanatischen (zu den Kampffanatikern zählen lästige Rechthaber (Querulanten) sowie die geltungsbedürftigen (hysterische), 6 - stimmungslabilen, 7 - explosiblen, 8 - gemütslosen, 9 - willenlosen, 10 - asthenischen Psychopathen.14 Die Abnormität des jeweiligen Typus liegt, so Schneider, in der Intensität und Dominanz des jeweiligen Merkmals - eine Typologisierung, die ihre Verwandschaft mit der - alles andere als wertfreien - vorwissenschaftlichen Physiognomik (und damit die Nähe zur Karikatur) kaum verleugnen kann! Fast erschreckend ist es denn auch, daß zeitgenössische medizinische Dissertationen in derartigen Zuordnungen völlig unkritisch "auch heute noch" einen "wichtigen diagnostischen Aspekt" sehen - v. a. sehen duften! (Beispiel: Katrin Günther, Diss. Marburg, 2008, dort Seite 15) Unhinterfragt bleibt für Frau Günther denn auch das Schneidersche Diktum: Psychopathie = angeborene (!) Abweichung von der Norm (aaO. S. 11), ein Beleg für den (Zu-)stand bundesdeutscher Psychiatrischer Lehre: Schneider = "herrschenden Lehre"? Die Schneider'sche Einsortierung in Typen war der prägende deutsche Beitrag zur Nomenklatur der Psychiatrie, somit die herrschende Lehre (juristisch gesprochen: 'h.M.')15. Sie verkam immer wieder zu einem politisch willkommenen Selektionsinstrument, ohne den geringsten wissenschaftlichen Wert. Immer geht es um quantitativ imponierende 'Persönlichkeitsvarianten', die grundsätzlich 'gesund' sind, weil noch 'einfühlbar', jedoch abnorme Extremausprägungen eines bestimmten Persönlichkeitszugs/ Persönlichkeitsmerkmals, "das an sich mehr oder weniger allgmein menschlich ist" (Definition 'abnormer Persönlichkeiten' in dem aktuellen Lehrbuch: Gerd Huber, 2005, 425). Wenn diese dann auch noch darunter (unter ihren abnormen Zügen) leiden, sind sie, nach Kurt Schneider, eben 'psychopathisch'. Ob die immer noch verbreitete Meinung, daß es Schneiders "großes Verdienst" war, die wertenden soziologischen Einteilungsprinzipien Kraepelins durch eine wertneutralere Typenlehre - da "deskriptiv-symptomatologisch" gewonnen - ersetzt zu haben, ist erheblich zu bezweifeln, denn beabsichtigt war nurmehr eine euphemistische Verschleierung des Anwendungszwecks zur Vortäuschung von Wissenschaftlichkeit. Das in Deutschland (mit) entwickelte symptomologische AMDP-System lehnt sich - zu Recht kritisiert - zu sehr an Kurt Schneider an. Die AMDP-Manuale sowie laufende AMDP-Seminare dienen wohl am ehesten der Vereinheitlichung psychiatrischer Sprachregelungen und zeigt zugleich den unverändert schwankenden Boden der psychiatrischen "Erfahrungswissenschaft", deren Diagnosen naturgemäß nicht nur etwas über den Probanden, sondern zugleich über das Können und vor allem Wollen des jeweiligen Diagnostikers aussagen, was freilich so gut wie nie von staatlichen Kontrolleuren / Auftraggebern - insbesondere von Richtern - auch nur Ansatzweise eruiert wird. Immer noch geistert das Schneider'sche "oder", wenn auch euphemistisch verschleiert, durch die Fachliteratur, siehe folgendes Beispiel: - http://www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/persoenlichkeitsstoerungen/artikel/ Bis heute geistern Kurt Schneiders griffige "Spielarten seelischen Wesens" insbesondere in den der für deutsche Juristen bestimmten Lehrbüchern der Kriminologie herum, siehe nur das ehemals von Göppinger, nun von Michael Bock herausgegebene Lehrbuch KRIMINOLOGIE im Beck-Verlag (6. Aufl., 2008). Die Psychiater Kröber und Wendt verkünden dort, daß "unbeschadet der zahlreichen psychodynamischen Bemühungen" die Schneider'sche "deskriptive psychopathologische Systematik der seelischen Abnormitäten als Spielarten seelischen Wesens" von besonderer Bedeutung sei. (a. a..O., S. 108). Kritiker Kurt Schneiders. Die im folgenden erwähnten Kritiker gliedern sich, leicht erkennbar, in zwei Gruppen auf: die sozio-politische und die (parareligiöse) 68-er 'Gutmenschen'-Gruppe. Die erstgenannte entlarvt die rechtspolitische Instrumentalisierung der psychiatrischen Richtergehilfen, die letztere beklagt die fehlende Individualisierung in Richtung Psychologisierung unter Vernachlässigung einer kritischen Rollenanalyse der staatlichen Entscheider. a) Bereits 1924 erkannte Hans Walter Gruhle die Brisanz des Schneider'schen Gesellschaftsbezugs, wenn er kommentiert: "Dabei schleicht sich nun freilich an zweiter Stelle wiederum ein Wertgesichtspunkt ein, denn unter welchen Persönlichkeiten die Gesellschaft leidet, dies wird von den Wertungen dieser Gesellschaft abhängig sein. Schneider übersieht das nicht, aber er hält seine Einteilung aus praktischen Gesichtspunkten aufrecht." (Gruhle in: Zs. f. Psychologische Forschung, 1924, 376). Noch 1940 kritisierte Gruhle den Schneider'schen Psychopathenbegriff hinsichtlich dessen Annahme der absoluten Anlagebedingtheit von Psychopathie(Gruhle, Der Psychopathiebegriff, Allgemeine Zs. f. Psychiatrie u. ihre Grenzgebiete, 1940, 233ff). Auch später äußerte Gruhle sich zu Kurt Schneider kritisch: "Er weiß genau, daß er selbst eine willkürliche Einschränkung vornimmt, wenn er vorschlägt: Psychopathen seien abnorme Persönlichkeiten, die an ihrer Abnormität leiden oder unter deren Abnormität die Gesellschaft leidet." Auf z. B. hyperthyme Psychopathen träfe die Einschränkung auf das Leiden nicht zu (Gruhle, Der Psychopathiebegriff, in: Allg. Zs. f. Psychiatrie u. ihre Grenzgebiete, 1940, 233-236). Bezüglich des 2. Teils der Schneider'schen Psychopathen-Definition spricht Gruhle zutreffend von 'Konfliktpersönlichkeiten'. b) Hellmuth Mayer bemerkte schon 1937: "In Wahrheit ist das (gemeint: Stumpfls, von K. Schneider abgeleiteter Psychopathenbegriff) gar kein naturwissenschaftlicher Begriff, auch kein 'quantitativer' (wie Schneider meint), sondern ein Wertbegriff ..., praktisch vom Juristen ausgeliehen" (Mayer, Kriminalität als Geisteswissenschaft, ZStW Bd. 57 (1937), 18). Friedrich Stumpfl (Erbanlage und Verbrechen, 1935) hatte zuvor mit seinem statischen Persönlichkeitsmodell ein klassisches Beispiel für die verheerende, antihumanistische Wirkung der Schneider'schen Psychopathen-Definition geliefert. c) Hans Müller-Eckhard stellte1951 zwei Gutachten gegenüber, von denen das erste eine den Probanden im Schneiderschen Sinne zum unabänderlichen Psychopathen mit charakterlicher Fehlanlage abgestempelt. Das zweite Gutachten deutet und erklärt das Verhalten als eindeutig konfliktgeboren und damit therapierbar. Der Schneidersche Psychopathiebegriff sei unhaltbar. (Müller-Eckhard, Die unabweisbare Revision des Psychopathiebegriffes, Unsere Jugend, 1951, 321-325) d) Paul Matussek (Die Konzentrationslagerhaft als Belastungssituation, Der Nervenarzt, 1961, S. 588ff) Schneider setze für Neurose14 den Begriff "abnorme Erlebnisreaktion", dies bedeute: "Das Abnorme liegt in der Persönlichkeit". Matussek teilt mit, daß unter 130 untersuchter Fälle kein einziger ist, der die KZ-Zeit ohne Dauerstörung überwunden hat. Diese drückten sich aus in Entwurzelung und tief verwurzeltem Mißtrauen gegenüber den Mitmenschen, besonders Nicht-KZlern. Wo die Umwelt die Anklage nicht annehme, entstünden sekundäre Aggressionen, die sich nach innen kehrten und so eine Reihe von körperlichen Beschwerden verursachten. Im übrigen gelte: "Das Symptombild ist immer auch von den Vorstellungen des Untersuchers abhängig." (Anm. d. Verf.: eine Analogie findet man beim sog. "Scheidungskrüppel".) e) Auch Walter Ritter von Baeyer, Nachfolger Kurt Schneiders in Heidelberg, grenzte sich 1963, zusammen mit Häfner und Kisker, gegen die polit-ökonomische Haltung Witters (Adept der Schneider-Schule) ab, der psychoreaktiven Störungen NS-Verfolgter, selbst schwerster Art, jeglichen Krankheitswert absprach (Der Nervenarzt, Jg. 34, 1963, S. 120-123). f) Tilmann Moser (Repressive Kriminalpsychiatrie, 1971, S. 51, 68, 149) beklagt als nichtpsychiatrischer Psychoanalytiker in seiner "Streitschrift", daß die deterministische "Schneider-Schule" sich weigere, Persönlichkeitstheorien von Psychologie oder gar die individualisierende Tiefenpsychologie, m. a. W. die Psychodynamik überhaupt zu berücksichtigen, weshalb es für de Boor, Gruhle, Witter, Bresser, u. a. auch keine fließende Übergänge vom Normalen zum Krankhaften gebe. Kurt Schneiders auf die Somatik begrenzte Krankheitsdefinition, sein Votum für "scharfe Grenzen", habe eine Monopolstellung erlangt. Das Nur-Seelische habe keine medizinische "Dignität", mit der Folge, daß die grundsätzlich ererbte Charakterabnormität (Moser: "Charakterbiologie") nach dem Diktum der herrschenden Schneider-Schule strafrechtlich zu verantworten sei, sich also nicht zur De- oder gar Exkulpierung eigne. Psychopathien "mit Krankheitswert" seien für die Schneider-Adepten die Ausnahme. Moser brach eine Lanze für die Psychoanalyse durch eine kritische Darstellung des ersten Bartsch-Prozesses, in dem Rolf Bossi erfolgreich Revision einlegte und den Einzug der Psychoanalyse in den Gerichtssaal bewirkte. Aus Psychiaterkreisen erfuhr Mosers Streitschrift herbe Kritik, so etwa seitens Pfäfflins, der sich dabei auf Rasch, Janzarik (HD) und andere stützte. g) Erich Wulff: Schneider gehe nach wie vor von einem statischen Persönlichkeitsmodell aus und verneine damit die Existenz einer dynamischen, entwicklungsfähigen Persönlichkeit. Dabei bringe er "das Kunststück fertig, die Psychopathie einerseits zu einem Erbübel zu erklären, ihr aber andererseits jeden Krankheitswert abzusprechen" um jede Exkulpierung zu vermeiden. (Wulff, Psychiatrie und Klassengesellschaft, 1972, 308). Wulff bezieht sich dabei auf den rein biologischen Standpunkt Kurt Schneiders, in dessen "Klinische Psychopathologie" (1959) es heißt: "Der Krankheitsbegriff ist für uns gerade in der Psychiatrie ein streng medizinischer. Krankheit selbst gibt es nur im Leiblichen und 'krankhaft' heißen wir seelisch Abnormes dann, wenn es auf krankhafte Organprozesse16 zurückzuführen ist." Wulff kommt zum Schluß: "Die psychiatrische Typologisierung irgendwie auffälliger Menschen dient also letztlich der Repression, sie ist griffig". Der (politische) Mißbrauch der Psychiatrie zu außerpsychiatrischen Zwecken werde erst ermöglicht durch eine von den Psychiatern selbst meist verleugnete Unschärfe ihres Krankheitsbegriffes (Erich Wulff, Psychiatrie und Herrschaft, Argument Studienheft Nr. 34, 1979, 694). Andernorts führt Wulff die faschistische Ideologie der Entartung auf die statisch-genetische Psychopathentheorie Kurt Schneiders zurück, was übertrieben einseitig erscheinen mag, jedoch in der Stoßrichtung jedoch zutreffend ist. (Wulff, Psychopathie? Soziopathie? In: Das Argument 71 (1972), 66 ) Hinweis: Nach dem Kriege hat Kurt Schneider versucht, den unverkennbar einseitig-genetischen Ansatz seiner Psychopathenlehre klein zu reden. Seinen Leitsätzen aber blieb er treu: Nur das Unverständliche könne exkulpieren (Schneider, 1961). h) Herbert Maisch (1928–1997), Psychologe, sah in der "bestimmten schulischen bzw. wissenschaftstheoretischen Betrachtungsweise" wie etwa die der Psychopathenlehre Kurt Schneiders die Gefahr einseitiger Selektion. (H. Maisch, Methodische Aspekte psychologisch-psychiatrischer Täterbegutachtung, in: MSchrKrim 56.Jg (1973) 189, 193). i) Alfred Kraus (in: Struktur - Persönlichkeit - Persönlichkeitsstörung, 2007, 193) stellt sich gegen die Schneiderschen Gesellschaftsbezug: Schneider sehe den "überangepaßten" Normopathen ebenso wie den soziopathischen Nichtangepaßten als persönlichkeitsgestört an. Entscheidendes Kriterium für Persönlichkeitsstörung sei die Unflexibilität, das "Nicht-anders-Können" - und nicht das Leiden der Gesellschaft! Zuvor bereits hatte Erich Wulff im Normopathen das Gegenstück des Psychopathen gesehen, der sich völlig den herrschenden Konventionen, Normen und Werten unterwirft, gewissermaßen "funktioniert". (Psychiatrie und Klassengesellschaft, 1972, XIV) j) Hermann Wegener, spricht, unter Bezugnahme auf Kurt Schneider, zu Recht von der "Flucht in die Typologie" und verweist auf das angelsächsiche Soziopathenmodell, das auf fehlende Lernprozesse abhebt. (Wegener, Einführung in die forensische Psychologie, 1981, 102, 125) k) Johannes Glatzel, stellt 1992 fest, daß die Schneider'schen rein deskriptiven Kategorien zum Verständnis individuellen dysfunktionalen Verhaltens keinerlei Beitrag zu leisten vermögen, zumal Dysfunktionalität nicht Indiz für eine psychopathische oder gestörte Persönlichkeit sei. (Johannes Glatzel, Handwörterbuch der Psychiatrie. 2. Aufl. 1992, 495).17 l) Jürgen Link, beschreibt die Methode Bressers, jeden Probanden auf jeden Fall einem Typus nach Kurt Schneider zuordnen zu sollen. Die Grenze werde intuitiv entschieden, und zwar nach der Intuition eines "besonnen urteilenden Laien". (Jürgen Link, Versuch über den Normalismus, 2002, 65-73). Bressers Kranheitsbegriff und deren Diagnose kann sich seiner Meinung nach nicht an einer statistischen Norm und auch nicht an einer Idealnorm orientieren, sonder allein an einer "Funktionsnorm". Auf Seelisches übertragen, lasse sich die Funktionsnorm nur mit vielen Einschränkungen anwenden, denn das "Funktionieren" des Zusammenlebens sei oft auch von den Gegebenheiten des Zusammenlebens "und nicht oder nicht nur von einer individuellen Problematik abhängig". (Paul H. Bresser, Die seelisch-geistige Störung und der Krankheitsbegriff, VersMed 1992, 106ff ). Auf Seelisches angewandt, gewinnt Bresser Funktionsnorm also soziologische Relevanz und steht, wenn auch unausgesprochen, für Anpassungfähigkeit. Bresser agierte denn auch - bezeichnenderweise - als Vertrauensmann staatlicher Anklage. Literatur von Kurt Schneider - Studien über Persönlichkeit und Schicksal eingeschriebener Prostituierten. Berlin 1921. - Körperbau und Charakter, MSchr f. Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, 1921/22, 370ff - Die psychopathischen Persönlichkeiten, Erstauflage 1923; 9. Aufl. 1950 - Die abnormen seelischen Reaktionen, 1927 - Über Psychopathen und ihre kriminalbiologische Bedeutung, MSchKrim 1938, 353 - Die Psychopathenfrage beim Feldheer, In: Bericht ü. d. 1. Arbeitstagung Ost der beratenden Fachärzte am 18. 5.1942 i. d. Militärärztlichen Akademie Berlin - Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit. Ein Vortrag. 1. Aufl. 1948, 3. Aufl. 1956 - Kritik der klinisch-typologischen Psychopathenbetrachtung, Der Nervenarzt, 1948, 6ff - Klinische Psychopathologie, 15. Aufl. 2007 (Sponsel: "Jahrhundertwerk") Kurt-Schneider-Schüler: - Albrecht Langelüddeke, den auch Nedopil zu den Schülern Kurt Schneiders zählt. L. gehörte zu den Unterzeichnern des Bekenntnis zu Hitler. Bezeichnend für die Rechtslastigkeit der bundesdeutschen Justiz ist, daß Langelüddekes "Gerichtliche Psychiatrie" (1950, 1959, 1961, 1976, zus. m. Bresser) vielen Gerichten (so dem OLG Karlsruhe) bis in die 90er Jahre als Standardwerk diente. Immerhin empfahl L. in der letzten Ausgabe von 1976 (S. 387) "allergrößte Zurückhaltung" bei der Entmündigung von Querulanten. Zuvor hatte er sich noch durch seine "Die Entmannung von Sittlichkeitsverbrechern" (1963) hervorgetan. Die ideologische Ausrichtung L.s steht in der Reihe der Freislers u.Co. ("Die Rübe muß runter") - Siegfried Haddenbrock, MschrKrim 1955, 183ff; dazu Entgegnung von Rauch, MschrKrim 1956, 182ff - Wolfgang de Boor, siehe: Über motivisch unklare Delikte, 1959 - Nikolaus Petrilowitsch, Abnorme Persönlichkeiten, 1960 - dto., Die psychopathologische Diagnose und ihre normative Bedeutung, in: FS Kurt Schneider, 1962, 278-287 - Nikolaus Petrilowitsch, Abnorme Persönlichkeiten, 1960 - Hermann Witter, Psychopathologie, Krankheitsbegriff und forensische Freiheitsfrage. In: Psychopathologie Heute = FS Kurt Schneider, 1962, 288-303 - Heinz Leferenz, Zur Problematik der Psychopathie im Kindes- und Jugendalter. In: FS Kurt Schneider, 1962, 355-362. Reprint in: Petrilomitsch, Psychologie der abnormen Persönlichkeiten 1968, 390ff - Hans-Joachim Rauch, Einfluß psychopathologischer Strömungen auf die forensische Psychiatrie, in: FS Kurt Schneider, 1962, 304-315 - Hans Jörg Weitbrecht, Psychiatrie im Grundriss, "Kurt Schneider zugeeignet", 1963, 3. Aufl. (Weitbrecht ist Neffe Kurt Schneiders, dessen Mutter eine geborene Weitbrecht war) - H. Witter, Zur rechtlichen Beurteilung von Neurosen, NJW 1964, 1166-1172 - Wolfgang de Boor, Bewußtsein und Bewußtseinsstörungen, 1966 Kurt Kolle, Verrückt oder normal?, 1968, dort S. 41, 67, 68 - H. Witter, Grundriß der gerichtlichen Psychologie und Psychiatrie, 1970 - H. Witter, Allg.u.spezielle Psychopathologie, in: Göppinger/Witter (Hg.), Hb.der forensischen Psychiatrie Bd. I, 1972, S. 476ff - Paul Bresser, Die Ermittlung des subjektiven Tatbestands, in: FS R. Lange, 1976, 665-685, darin folgender Satz: "Das einzige zur Überschau fähige Organ ist der ... gesunde Menschenverstand" (S. 671) - dto, Die Übersteigerungen des Rechtsgefühls, in: Das sogenannte Rechtsgefühl, 1985, 276-284. Bresser umschwafelt dort einmal mehr den Begriff "gesunder Menschenverstand" und, natürlich, den des Querulanten. Werner Janzarik, Strukturdynamische Grundlagen der Psychiatrie, 1988; auf S. 5 spricht J. von "Lehrzeit bei K. Schneider", unter dem er "früh" Oberarzt wurde. - H. Witter, Unterschiedliche Perspektiven in der allgemeinen und in der forensischen Psychiatrie, 1990 - Gerd Huber, Psychiatrie, 6.Aufl. 1999 - Hans-Ludwig Kröber und Frank Wendt (Charité, Berlin), in: Göppinger/Bock, Kriminologie, 6. Aufl (2008), 107ff . kritische Literatur: - Hemmo Müller-Suur, Das psychisch Abnorme, 1950. Teilw. Reprint in: Psychologie der abnormen Persönlichkeiten, 1968, 33-50 (Der Realnormbegriff und der Idelanormbegriff) - Erich Wulff, Psychopathie? - Soziopathie?; Das Argument 71 (1972) - Erich Wulff, Psychiatrie und Klassengesellschaft, 1972 - Kröber H-L, K. Schneiders Psychopathiebegriff als Hemmnis psychosomatischen
Denkens. Nervenarzt 55 (1984) 25-29 - Jürgen Link, Versuch über den Normalismus, 1997, dort zu Kurt Schneider und seinem "Gewährsmann" Paul Bresser, siehe v.a. die Seiten 63 - 72 - Werner Schimanski, Beurteilung medizinischer Gutachten, 1976, 148 - Schott/Tölle, Geschichte der Psychiatrie: Krankheitslehren, Irrwege, Behandlungsformen, 2005, dort S. 152f - Kölch, Michael, Theorie und Praxis der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Berlin 1920-1935. Die Diagnose "Psychopathie" im Spannungsfeld von Psychiatrie, Individualpsychologie und Politik. Diss. FU, 2006 Anthologien zu den psychopathischen Persönlichkeiten: - Psychologie der abnormen Persönlichkeiten, Hgg. v. N. Petrilowitsch, 1968 (Wege der Forschung Bd. LXXVI) Anmerkungen: 0 wenn auch Kurt Schneider nicht mit Carl Schneider verwechselt werden darf, der in der NS-Zeit in Heidelberg mit Euthanasie-(Forschung) befaßt war, ist die Heidelberger Psychiatrie-Schule von der vehementen Ablehnung der Psychoanalyse gekennzeichnet. So sprach sich auch Carl Schneiders Mitarbeiter Hans-Joachim Rauch (1909-1987) scharf gegen den Einsatz von Psychologen und insbesondere von Psychoanalytikern in der Forensischen Psychiatrie aus (in: FS f. Heinz Leferenz, 1983, 379-395), dies unter mehrfacher Verwendung des Kurt-Schneider'schen Schlüsselbegriffs 'Variation'. Eberhard Schmidt (FS Kurt Schneider, 1962, 268) hält psychoanalytische "Ausdeutungen" für subjektiv, mithin sinnlos für den Richter, der doch "nur objektiv (seelische) Befunde brauchen kann". Schmidt belegt dies mit Zitaten von Kurt Schneider ("eigene bloße Deutungsphantasien") und Göppinger. Der Begriff der Psychopathie war ein sehr deutsches Phänomen, in
anderen Ländern war er entweder nicht existent oder wurde sehr zurückhaltend gebraucht: http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000002422/02_mkdisskapitel1.pdf?hosts 1 diese Formel hat einen Vorgänger-Parallele: Bei Krafft-Ebing (Lehrbuch der Psychiatrie, 1903, S. 408), der unter der Überschrift "Das Irresein der Querulanten und Prozesskrämer" reagieren Querulanten "auf eine wirkliche oder vermeintliche Verletzung der eigenen Interessenssphäre". Krafft-Ebing würdigte übrigens in seinem Lehrbuch auch das Krankheitsbild einer 'paranoia politica' (1892, 3. Aufl., 146-148, zit. n. KJ, 1/1974, S. 64). Im Fokus der Psychiater steht also der - oftmals politische - Beweggrund. Die vielzietierte Schneider-Formel wurde und wird immer noch falsch zitiert, indem nämlich das Wort "oder" durch "und/oder" oder gar durch "und" ersetzt wird, als käme es hierauf nicht an. So verfälschten etwa Kröber/Wendt die Formel, indem sie das "oder" kurzerhand durch "und" ersetzten(Göppinger/Bock, Kriminologie, Beck, 2008, 111), ein für einen Wissenschaftler kaum glaublicher Vorgang, denn: Tatsächlich handelt es sich um eine gravierende Sinnverfälschung, die sich immer wieder, ja sogar in Habilitationsschriften findet, so jüngst bei Anja Schiemann, Unbestimmte Schuldfähigkeitsfeststellungen: Verstoß der §§ 20, 21 StGB gegen den Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 II GG ( Habil.-Schr., 2012, Ffm., S. 286, wo das Schneider'sche 'und' fälschlich durch 'und/oder' ersetzt wurde.) Wenn K. Schneider sich auf das "oder" beschränkte, so deshalb, weil er nebem dem Wohl des Patienten (für den Arzt eine Selbstverständlichkeit) als Agent des Schutz der Gesellschaft auftreten wollte. Seine Formel führte zwar im ersten Teil den medizinisch leidenden Psychopathen-Begriff aus der Perspektive des heilenden Arztes an; sein Fokus jedoch liegt auf dem 2., dem "oder" nachfolgenden Teil, d. h.: auf dem störenden Psychopathen. Dieser Wandel zum juristisch-gesellschaflichen Psychopathen-Begriff entspricht dem anglo-amerikanischen des Soziopathen. Schneiders Formel fordert also rechts-politisches Handeln, ein Verständnis, das er späterhin bestätigte, als er nämlich - als Gegner der Psychoanalyse - die Gefahr eines Dammbruchs heraufdämmern sah, wenn psychotherapeutische Privatgutachter danach trachteten, Psychopathen zur Schuldunfähigkeit zu verhelfen. Die Schneider'sche Definition des Psychopathen geistert bis heute weiter in der klassisch-deutschen Psychiatrielehre herum, wenn auch mit dem Versuch, das anstößige Wort "Gesellschaft" zu vermeiden. - Bei Tölle (1986) liest sich das Schneidersche Diktum dann z.B. so: "Von Psychopathen spricht man, wenn eine Persönlichkeitsstruktur durch starke Merkmale so akzentuiert ist, daß sich hieraus ernsthafte Leidenszustände oder/und Konflikte ergeben." "Während die bisher so genannten "Psychopathien" (Kurt Schneider, RB 1/15, Fn 16) lediglich akzentuierte Charaktereigenschaften markierten..." Während sich also deutsche Psychiater mit dem "oder" kaum beschäftigen, geschah dies von Soziologen-Seite sehr wohl, siehe etwa Katschnig/Steinert: "Über die soziale Konstruktion der Psychopathie" (in: Strotzka, Neurose, Charakter, soziale Umwelt, 1973, 107), die mitteilen, daß Solms 1951 vorschlug, das "Oder" durch ein "Und" zu ersetzen - wodurch die wahre Intention Kurt Schneiders ans Licht gebracht worden wäre: Der Psychopath wird damit zum Soziopathen (Soziopathie als personale Eigenschaft). Katschnig/Steinert kommen auf Seite 113f zu folgenden Feststellungen: An der Affektion der "Psychopathie" leidet nur, wer machtlos ist. Wer Macht hat, kann diese "sublimieren", d. h. so ausleben, daß er nicht als krank definiert werden kann. Recht hat er: Psychopathien erwachsen dem Gefühl der Ohnmacht - am Ende auch gegenüber dem Psychiater, der ihn zum Psychopathen erklärt! 2 Rasch plädiert sodann für einen strukturell-soziale Krankheitsdefinition und erwähnt in diesem Kontext dann auch die hohe forensische Bedeutung der querulatorischen Entwicklung - dies alles freilich im Kontext des Strafrechts, auf das hier nicht weiter eingegangen werden soll. 3 Schneiders Typenlehre basiert nach Moser (Tilman Moser, Repressive Kriminalpsychiatrie, 1971, 60) auf einer "charakterologisch-verstehende Psychologie". Dührssen hingegen sieht die Typen Kurt Schneiders "als rein beschreibende, vom Zustandsbild, von der Emperie ausgehende Darstellung" und differenziert drei Gruppen der zehn Schneider'schen Typen: Typ 1, 2 und 6 durch wesentliche konstitutionelle Anteile aus, Typ 3, 8 und 7 eher "durch gewichtsmäßig erheblich disponierene Anlagemomente", Typ 5, 4 und 9 scheinen nach Dührssen "wesentliche reaktive Momente" zu enthalten und damit am ehesten als Neurosen behandelbar zu sein (Annemarie Dührssen, Psychopathie und Neurosen. In: Psyche 3/1948, 383, 400). 4 Schneiders unsystematisch gewonnene Typen finden in der Praxis als Idealtypen Anwendung. Gleichwohl spricht Saß von "Realtypen", die "durch Beobachtung häufig zusammen erscheinender Merkmale bestimmt sind." (Henning Saß, Psychopathie - Soziopathie - Dissozialität: Zur Differentialtypologie der Persönlichkeitsstörungen, 1987, S. 17) Saß stellt in diesem Opus auf S. 12f fest, daß es in letzter Zeit zu einer "erstaunlichen Renaissance der Anschauungen K. Schneiders gekommen" sei. Nach R. Tölle (Katamnestische Untersuchungen zur Biographie abnormer Persönlichkeiten, 1966, S. 1) soll Schneider die Unterscheidung zwischen abnormer und psychopathischer Persönlichkeit 1958 selbst aufgegeben haben. Wenn Schneider die soziologischen Bildungen Kraepelins in charakterologische "umgegossen und verdichtet" hat (Tölle, aaO.), so wäre dies nurmehr eine üble Camouflage (frz. „Irreführung, Täuschung, Tarnung“), dem Zeitgeist folgend: "Den Charakter des Reiches bestimmt allein der Führer" (Deutsche Justiz, 3/1938, S. 365) - und macht die Sache nicht besser ... 5 Diese Schneider'sche Dichotomie lebt in der herrschenden deutschen psychiatrischen Lehre bis heute fort. Bei Witter (1990, Einführung) liest sich dies so: In der Psychiatrie unterscheiden wir grundsätzlich zwischen "Geisteskrankheiten" und "Variationen", zurückführbar einmal auf Krankheit, im Falle der "abnormen", aber nicht krankhaften Variationen allein auf den Charakter. Man beachte den feinen Unterschied: Hier wird Persönlichkeit durch Charakter ersetzt. In der Tat benutzt die neuere Nachkriegspsychiatrie, die sich dem Einfluß der Psychoanalyse nicht mehr ganz entziehen konnte, den Begriff 'Charakter' nurmehr für die angelegte Struktur (neben dem 'Temperament') - nach Saß (2006) die "somatischen Faktoren" der immerhin auch aus der "Lern- und Beziehungsgeschichte" resultierenden 'Persönlichkeit'. 6 der Begriff "Abartigkeit" taucht, eigentlich überraschend, im 1969 (2. StrRG) neu gefaßten § 20 StGB auf. Abartig bedeutet, ganz im Schneider'schen Sinne, schlicht erblich. Zur Genese der Aufnahme dieses Begriffs erwähnt Moser den Vortrag eines Dr. Würflers vor der Großen Strafrechtskommission, daß die psychopathische Anlage bereits beim Säugling erkennbar sei (Tilman Moser, Repressive Kriminalpsychiatrie, 1971, S. 85) 7 diese Schönferberei Kurt Schneiders fand gar Aufnahme in eine Predigt; s. a. Hugo Ball, Schriften. K. Schneider mag diese Floskel von Friedrich Spiehagen entlehnt haben. 8 Pertrilowitsch unterscheidet "Charakterneurosen" (steht für Persönlichkeitsstörungen aufgrund schwerer Milieuschäden) von "abnorm strukturierten Persönlichkeiten" (in: Abnorme Persönlichkeiten, 1960, S. 51) 9 mit der Frage, inweiweit seine Typen soziologisch sein könnten, setzt sich Schneider in der 9. Auflage von 1950, Seite 50f, auseinander. 10 Der Psychologe Gresch bezeichnet die Psychiatrie pauschal gar als "politische Veranstaltung". Zu den (an Kurt Schneider angelehnten) Manualen schreibt er: "Die Kriterien der Diagnose-Manuale beziehen sich aber nicht auf diese mutmaßlichen "chemischen Ungleichgewichte" im Gehirn, sondern es handelt sich bei den entsprechenden Diagnosen eindeutig und unzweifelhaft um moralische Urteile über menschliches Verhalten. Bestimmte Verhaltensmuster werden als "krank" etikettiert, aber die angeblichen "Krankheitssymptome" spielen bei den entsprechenden Diagnosen keine Rolle." Dies mag überpointiert sein. Richtig aber ist, daß bis heute eine Hauptaufgabe der Psychiatrie in der Tat die Selektierung auffälliger Menschen mit dem Ziel ihrer Exklusion als störende, gemeinschaftsunfähige, sozialschwierige "Elemente" ist. Die von Hoheitsträgern, zu denen bekanntlich die Justiz zählt, bemühten Psychiater übten und üben insoweit in der Tat eine gesellschaftspolitische Funktion aus, verbunden mit einem erheblichen Mißbrauchspotential. A. Ebbinghaus, H. Kaupen-Haas und K.-H Roth berichten in "Heilen und Vernichten im Mustergau Hamburg" (1984, S. 17, 131) von der Rolle des NS-Psychiaters Bürger-Prinz, des Mitbegründers einer "Forensisch-Biologischen Arbeitsgemeinschaft" und Erfinder der "psychiatrischen Schleuse" zwecks Selektion mit nachfolgender Sonderbehandlung u. a. von Kriegsneurotikern. Nach dem Kriege tat sich Bürger-Prinz hervor, indem er u. a. einer NS-Tötungsärztin, um sie zu retten, nur beschränkte Zurechnungsfähigkeit bescheinigte. 11 Wuth widersprach Schneider mit der Feststellung, daß "nur der erste Teil eine psychologische, der zweite Teil eine soziologische (!) Definition" darstelle (Wuth, Nochmals über die Psychopathen im Militärstrafrecht, Zs. f. Wehrrecht, VII. Band, 1942/43, 365). Ähnlich auch Blankenburg, der bezüglich des Schneider'schen Gesellschaftsbezugs von "intersubjektivem Maßstab" bzw. "kollektivem Befinden" spricht (W. Blankenburg, Psychiatrie und Philosophie, In: Psychiatrie der Gegenwart, 1979, Bd. I, Teil I, 837). Was Blankenburg nicht erwähnt: Die scheinbar objektive Entscheidung über den Störer trifft der subjektiv Gestörte als (mächtiger) Vertreter des Kollektivs. 12 siehe dazu: Eissler, Die Ermordung von wieviel seiner Kinder muss ein Mensch symptomfrei ertragen können, um eine normale Konstitution zu haben? (Psyche, Heft 5/1963, 241-291). Die bei deutschen Psychiatern vertrete Anlagebedingtheit von psychiascher Traumata führte vielfach zur Ablehnung von Wiedergutmachungsansprüchen NS-Verfolgter. 14 Keine der zahlreichen "Typenlehren", weder die von Kraepelin, Bleuler, Birnbaum, Reichardt, Bumke, Gruhle, Kahn, der ein Agglomerat sämtlicher vorgefaßter typologischer Begriffe präsentierte (in: Bumke, Hb. d. Geisteskrankheiten, 1928, 237-486), also auch nicht Kretschmer mit seiner "dynamischen" Typenlehre samt seiner Konstitutionstypologie sowie die Reaktionstypologie Ewalds, vermochten sich gegenüber Kurt Schneider leicht handhabbarer Typologie durchzusetzen. Im Fahrwasser Schneiders bewegt sich denn auch Nikolaus Petrilowitsch, auch wenn er "das Abgleiten des Begriffes (Psychopathie) auf die Ebene von Werturteilen" in seinen "Abnormen Persönlichkeiten" (Erstauflage 1960, 2. Aufl. 1964; 3. Aufl. 1966) zu neutralisieren suchte. Vergeblich, denn bereits Kurt Kolle singt in seinem Buch "Verrückt oder normal?" von 1968, welches er "dem Lehrer und Freund" Karl Jaspers widmete, ein Hohelied auf Kurt Schneiders "Katalog psychopathischer Menschen", der "in der ganzen Welt als mustergültig anerkannt" sei (S. 40). Schneider selbst bezeichnete seine Typenlehre als "systemlos", als nicht "soziologisch", sondern "rein psychologisch", die eine "grobe" Orientierung liefere. Diese aber ist unzutreffend, denn: "streitsüchtig" zählt zu den soziologischen, "hypertymisch und fanatisch" hingegen eher zu den psychologischen Begriffen. Damit jedoch schreibt Schneider den von ihm so definierten abnormen Persönlichkeiten einen fixen, lebenslangen "Dauerzustand" zu. Wenn sie stören heißt er sie Psychopathen. Für die Praxis heißt dies, sie sind therapieresistent. Originalton Schneider (unter: "Soziale Bedeutung und Behandlung"): "Eine eigentliche Behandlung gibt es kaum", oder auch "für jede Behandlung ungeeignet"). Folglich sind Psychopathen, die in der Gesellschaft stören, letztlich zu exkludieren, im Extremfall: unschädlich zu machen. Aus diesem Grunde wohl erlangte die Schneider'sche Lehre insbesondere bei Juristen nicht nur in der Nazi-Zeit, sondern bis heute "ewiges Leben". 15 Bei Schneider heißt es : "Wir sprechen anstatt von Neurosen von abnormen Erlebnisreaktionen." (Die psychopathischen Persönlichkeiten, 9. Aufl. 1950, 58) 16 Dieser Schneider'sche organkrankheitsbasierende psychiatrische Krankheitsbegriff blieb im Strafrecht nicht unumstritten, beschränkte er die Exkulpierung auf organkranke Psychopathen, siehe etwa Streng, FS f. Leferenz, 1983, 407. 17 Zuvor bereits wies Glatzel (wie andere auch) auf die Problematik des Jaspers'schen Unverständlichkeitstheorems hin, auf das sich auch Kurt Schneider positiv bezog. So erfahre man in der Jasper'schen Pathographie Strindbergs "mehr vom Wertsystem des Forschers, von seiner philosophischen Haltung und seinem Menschenbild als von der vermeintlichen Geisteskrankheit des Künstlers." (Glatzel, Die Psychopathologie Karl Jaspers' in der Kritik. In: Karl Jaspers. Philosoph, Arzt, politischer Denker. 1986, 175) Glatzel hat sich der Hereinnahme systemtheoretischer und interaktionaler Blickwinkel geöffnet. |