Fallbeispiele

Die UR-ZPO datiert vom 30. Januar 1877 und trat am 1.Oktober 1879 in Kraft. Seit dieser Zeit finden sich immer wieder Fälle zweifelhafter bis willkürlicher Psychiatrisierung. Erkennbar ist, daß zunächst die Psychiatrie im Focus der Kritik stand, später, insbesondere seit Geltung des Grundgesetzes, war es vor allem die Justiz. Die nachfolgenden Psychiatrisierungsbeispiele werden daher in der historischen Reihenfolge beschrieben und kommentiert.

I. Fälle vor Geltung des GG: V. Hausen, Vogeler, Hegelmaier

II. Fälle nach Geltung des GG: Weigand, Seebald, Gromzig, Schmenger, eigener Fall und Fall Mollath. Diese Fälle wurden ausführlicher dargestellt, weil sie besonders grotesk und eigennützig-politisch gefärbt waren.

Die Rundbriefe der GEP http://www.psychiatrie-und-ethik.de/wpgepde/rundbrief-22004-dezember-2004/ befassen sich u.a. mit Fällen versuchter oder erfolgter "systematischer" Psychiatrisierung (die gerade in den unionsgeführten Ländern zu verorten seien), so mit dem Fall 

- des Rainer Hoffmann (Rundbriefe 2/09, S.8; 1/10, S.6; 1/12, S. 2)
 s. a. Hoffmanns Selbst- und Fallgeschichtsdarstellung, seine Klagefreudigkeit (Beispiel) und schließlich seine Psychiatrisierung sowie die Pressereaktion, wo Hoffmann als Paradebeispiel eines Querulanten vorgeführt wird, der sich am Ende ökonomisch - siehe Zwangsräumung - ruinierte, siehe dazu http://wikimannia.org/Rainer_Hoffmann#Aktueller_Stand
Wenn R. H. sich beklagt, daß sich Sabine Rückert (ZEIT) seines Falles nicht annehmen mochte, mag dies damit zusammenhängen, daß H. sich ohne Ende und ohne wirkliche Not selbst beschädigte und insoweit ein Lehrbuchbeispiel eines genuinen Querulanten lieferte. Der WDR-"Menschen-Hautnah"-Film von Wolfgang Minder (ausgestrahlt am 16.06.2004 im WDR) über die beiden Querulanten Rainer Hoffmann und Dr. Ulrich Brosa ist im Netz nicht mehr verfügbar.

- der Vera Stein alias Waltraud Stork (Rundbrief 2/09, S.9) 

- des Eberhart Herrmann (Rundbriefe 2/09, S.10; 1/10, S7; 1/11, S.10),  sowie sein Schadensersatz, siehe Urteil gegen den Psychiater Möller sowie VideoDer Film von Thomas Diehl "In der Gutachtenfalle - wenn die Justiz am Ende ist" dürfte zum besten zählen, was im ÖRen Fernsehen seit langem in Sachen Justizkritik zu sehen war, wenn auch kein investigativer Journalismus, sondern nurmehr eine sehr selektive Nachbereitung - gleichwohl eine der ganz wenigen Produktionen, die das schier unüberwindliche, groteske Gespann von Richer und Gutacher entlarvt. Kritisch zu dem Film von Diehl: Weinberger (dort S. 9).



In Sachen Sorgerecht sind die Seelenkundler besonders gefragt, verbunden mit Fällen psychiatrischen Mißbrauchs, jeweils - dies sieht die GEP viel zu wenig - in unheilvoller Allianz mit der Justiz. Da gibt es etwa den Fall des Bernd Schnardthorst, den der Direktor des AG Buxtehude, nachdem S. einige Dienstaufsichtsbeschwerden eingereicht hatte, als Querulanten und auch noch als paranoid und schizophren ansah und eine Pflegschaft veranlassen wollte. Schnardthorst wurde schließlich in einem 15seitigen psychiatrischen Gutachten als gesund befunden. Weit schlechter erging es dem Ex-Polizisten Martin Deeg, der zwecks psychiatrischer Unteruchung für 10 Monate in der Psychiatrie verwahrt wurde.


Auch "hohe intellektuelle Fähigkeiten" schützen nicht vor dem Zugriff der Justiz, da wären zu nennen etwa der Arzt Christian Zimmermann, Begründer des Marburger Allgemeiner Patienten-Verband e.V., dessen Prozeßfähigkeit (wegen 17 Richterablehnungen) infrage gestellt wurde, siehe Urteil des OLG Frankfurt vom 28.11.1991 - 15 U 13/89 - (NJW-RR 1992, 763).

Kommentar: Im Falle Zimmermann ging es dabei wohl um die Mundtot-Machung eines unbequemen Insiders, der dem Justizapparat durch Ausschöpfung legaler prozessualer Mittel auf die Nerven ging. Das o.g. Urteil ist einigermaßen haarsträubend!  


Anders dürften Fälle wie die des Psychologen Dr. Peter Niehenke liegen, der zunächst als „Nackläufer von Freiburg“ sowie einstmaliger Betreiber des beschwerdezentrum.de bekannt wurde und derzeit in Ordungshaft  einsitzt, siehe hierzu seine Petition



Daß insbesondere rechtskundige Persönlichkeiten, hier insbesondere Rechtsanwälte und Notare0, mittels psychiatrischer Gutachten aus dem Verkehr gezogen werden, zeigen mehrere Fälle:

a) Der Fall eines Berliner Rechtsanwalts:
- BGH, Beschl. v. 15.07.1985, Az.: AnwZ (B) 35/84, Gutachter: Rasch

b) Beispiel des RA Friedrich Schmidt:
- BGH 8.12.1986 -  Az.: AnwZ (B) 2/86, Gutachter: Johann Christian Glatzel, Ehrhardt, Finzen,

c) Fall des RA Claus Plantiko

d) sowie der fragwürdige Fall des hessischen Notars Michael Balser, der im Strudel der Beamten-Rechts-Schiene (die für Notare gilt) schließlich auch noch seine Zulassung als Rechtsanwalt verlor, nachdem er sich geweigert hatte, der Auflage der RAK Frankfurt a. M. nachzukommen, gemäß § 15 BRAO ein ärztliches Gutachten über seinen Gesundheitszustand und die Befähigung zur Ausübung des Anwaltsberufs vorzulegen. Öffentlich zugänglich ist nur das Schlußlicht eines vergeblichen Kampfes eines 'Organes der Rechtspflege' zur Erhaltung der Menschenwürde.1 Das Gericht hatte den Frankfurter Psychiater Thomas Holzmann mit der Begutachtung Balsers beauftragt. 
Holzmann konnte im SteuerfahnderSkandal als Gefälligkeitsgutachter entlarvt werden2Diese späte Erkenntnis hätte im Falle Balsers eigentlich zur Wiederaufnahme führen müssen - denn schließlich hatte sich das Gericht auf das Gutachten desselben höchst fragwürdigen Gutachters gestützt, und dies bei ähnlicher Auftragslage3. Jedoch weit gefehlt: Balser mühte sich bis heute vergeblich um seine Rehabilitation. Inwieweit der verurteilte Dr. med. Holzmann jedoch weiterhin sein Unwesen im Auftrage der Justiz treiben darf - darüber schweigen die Medien ...

In diese Reihe paßt auch der Fall des Polizeibeamten Dirk Lauer, der vorzeitig zwangspensioniert wurde. Öffentlich zugänglich ist derzeit nur ein privates psychologisches "Plausibilitätsgutachten". Verwirrend ist, daß im Falle des Drogenfahnders Dirk Lauer u. a. auch eine "medizinisch-psychologische" bzw. "psychologisch-psychiatrische" Begutachtung erfolgt sein soll, siehe Video (1). Dirk Lauer sucht - wohl zu Recht - seinen Fall als willkürliche Psychiatrisierung darzustellen: Video (2), die dort interviewte Psychologin.Andrea Jacob trat zuvor bereits auf der Tagung "Die Richter und ihre Denker" auf.

Fälle von Psychiatrisierungsversuchen aus Ostdeutschland, die sich nach 1989, d.h. nach der sog. Wiedervereinigung dort ereigneten, sind weniger bekannt, obwohl es sicherlich auch dort deren mehr gibt, als etwa nur den Fall des Peter Trawiel, der am 23.1.2007 an den Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts schrieb
"In den neuen Ländern erfahren Menschen, die der politischen Verfolgung durch die SED ausgesetzt waren, durch die Nachfolgestrukturen im Öffentlichen Dienst erneut, die Wirkung von Zersetzungsmethoden. Diese vorerst mit dem Versuch der Psychiatrisierung durch Halles OB Häußler vor dem Landgericht Halle seinen Höhepunkt findet, in dem diese, in unbestreitbarer Kenntnis dieses ungeheuerlichen Vorganges, die Prozessfähigkeit eines Opfers des SED-Regimes beantragt zu prüfen, um mich zum Schweigen zu bringen."






Erkenntnis aus diesen Fällen: 
Wer, ganz gleich ob es sich um einen Arzt, Rechtsanwalt oder Polizisten handelt, erst einmal in die Nähe vermeintlich psychiatrischer Auffälligkeit gerückt wurde und dann nicht durch einen exzellenten und dazu noch gewieften Prozessualisten vertreten wird, dürfte verloren sein in der engen Verbindung einer "nicht juristischer Sicht" (Zitat Lauer) und dem Abwehrwillen staatlicher Organe. 
Ist man erst einmal in die unheilige Allianz von Psychiatrie/Psychologie und Staatsorgan geraten, wäre nichts falscher, als auch nur entfernt mit einer seriösen Begutachtung zu rechnen. Am Ende kommt i. d. R. das heraus, was der Auftraggeber (Gericht) erwartete.




Anmerkungen:
0 Lit.: Horst Hagen, Zur Frage der "Schwäche der geistigen Kräfte" bei der Zulassung zur Rechtsanwaltschft und ihre Rücknahme. FS f. Gerd Pfeiffer, 1988, 929-939

1 einschlägige Literatur: Horst Hagen, Zur Frage der "Schwäche der geistigen Kräfte" bei der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und ihrer Rücknahme. In: FS für Gerd Pfeiffer, 1988, 929-939.

2 zu ärztlichen Gefälligkeitsgutachten siehe ArztRecht 11/2004

3 Das Holzmann-Gutachten über den Geisteszustand Balsers datiert vom 25.Juni 2007, die Verurteilung Holzmanns vom 16. November 2009. In beiden Fällen gimg es um unbequeme Personen in öffentlichen Ämtern - aber: Im Falle Schmenger waren zusätzlich öffentliche Interessen (politische Machenschaften) bei entsprechendem Medieninteresse im Spiel, bei Balser jedoch ging es lediglich um das Schicksal eines unbequemen Einzelnen.