- Dr. jur. Seebald

"Die Psychiatrie ist meines Erachtens die dunkle Seite der Medizin. Sie ist gefährlich für Menschen, die sich gegen den Staat oder gegen die Gesellschaft aufbäumen oder sich gegen unberechtigte Angriffe auf ihre körperliche Unversehrtheit zur Wehr setzen." (Quelle


Dr. Rudolf Seebald, Richter am OLG Saarbrücken und schon mal abgeordnet an das Bundesjustizministerium und an den BGH, ist "ein besonders krasses Beispiel dafür, wie die Justiz einen einzelnen Menschen auszugrenzen vermag" (Bäumer in: Festschrift für Richard Schmid, 1985, 202)

Dr. Seebald wurde nicht nur vom Dienstgericht beim LG Saarbrücken als dienstunfähig erklärt und zur Ruhe gesetzt, sondern er wurde zusätzlich teilentmündigt, indem ihm vom Vormundschaftsgericht ein Prozeßpfleger beigeordnet wurde (siehe Bericht und Aufruf in:  Betrifft: JUSTIZ. 6/1986, Seite 288).

Seebald hatte es sich nicht versagt, 1980 für die Grünen zu kandidieren und 1981 gar eine Denkschrift gegen den NATO-Doppelbeschluß zu verfassen und dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe "Recht" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zuzusenden. Dieser, Benno Erhard, regte am 18.9.1981 bei seinem Parteifreund Justizminister im Saarland (Prof Dr. Franz Becker) an, Dr. Seebald aus dem Dienst zu entfernen. Die weitere Entwicklung ist von Dr. Seebald dokumentiert in Betrifft: JUSTIZ 7/1986, 312ff.


Seebald Fehler war es, gegen das Mäßigungsgebot verstoßen zu haben. 
Der Präsident des OLG Gehrlein, 
Seebalds Dienstvorgesetzter, befand denn auch die Denkschrift als solche nicht hinreichend für die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens. Allerdings gab das Verhalten Dr. Seebalds in der Kantine des Justizgebäude Anlaß zur Überprüfung des Geisteszustandes. Dr. Seebald hatte dort etwa zwei Stunden lang in größeren Mengen Korn getrunken, sich abfällig über den Staat ("Scheißstaat") geäußert und ein Terroristenfahndungsplakat abgerissen. Seebald weigerte sich zudem, ein Urteil in einer Familienrechtssache zu unterschreiben, weil er die Entscheidung seiner beiden Kollegen für willkürlich hielt, da der Vorsitzende ihm in der mündlichen Verhandlung das Fragerecht verboten hatte.

Dr. Seebald befolgte die Anweisung, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Der Psychiater Dr. Leppien befand u.a., daß Dr. Seebald anlagebedingt an einer echten Manie, heute Zyklothymie genannt, leide. Dr. Seebald sei als nicht geschäftsfähig anzusehen.

Auch ein zweites Gutachten des Prof. Dr. Wancke der Universität des Saarlandes attestierte eine Funktionsstörung des zentralen Nervensystems aufgrund Bluthochdrucks sowie eine primäre "akzentuierte Persönlichkeitsstruktur", die Dr. Seebald dauernd dienstunfähig mache. Das Dienstgericht erklärte 1984 die Versetzung in den Ruhestand für zulässig. 

Nachdem Prof. Wancke seine Beurteilung teilweise zurück nahm und nur noch psychopathologische Gründe aufrecht erhielt, kam es auf Anordnung des Dienstgerichtshofs beim OLG Saarbrücken zu einer weiteren Begutachtung durch einen Gutachter außerhalb des Saarlandes, nämlich Prof. Dr. Wener Mende (München). Prof. Mende ruderte zurück und kam zum Ergebnis, daß kein "seelischer Defekt" vorliege. Es handele sich um starke lebensbestimmende Überzeugungen, die von der Umgebung als psychischer Defekt betrachtet würden. Für die Verfahren wurde für Dr. Seebald eine Prozeßpflegschaft errichtet. In der Folge erhielt Dr. Seebald von "kritischen" Kollegen Kreis des Richterratschlag (hier Klaus Beer) 1986 Unterstützung vor dem Dienstgericht Saarbrücken. 


Eigener Kommentar:
Dieses Beispiel einer Selbstreinigung des Justizsystems von nicht anpassungswilligen Charakteren mithilfe dreier psychiatrischer Gutachter weckt die Vorstellung des Gegentyps, eines überangepaßten Richters, der sicherlich eine wesentliche Eigenschaft jedes guten Richters nicht hat, nämlich die innere Unabhängigkeit. In diesem Sinne auch Bäumer: Aufrechter Gang in der Justiz? ( Festschrift für Richard Schmid, 1985, 199f). Dr. Seebald fiel 1995 nochmals auf, als er die "Verfassungsinitiative für Deutschland" gründete und für die Bundestagswahl vergeblich um Zulassung ersuchte. Dr. Seebald verfaßte zuvor auch unpolitischere Beiträge, etwa zum Thema Parken auf Seitenstreifen und Gehwegen, siehe NZV, 1990, 138. 

Ein ähnlicher Fall ereignete sich mit dem -zum Glück (!) - gerade pensionierten Richter (RiLG a. D.) Dieter Reicherter, der sich, sicherlich nicht zur Freude seiner Zunft, im Widerstand gegen Stuttgart 21 engagierte. Reicherters Wohnung wurde -  in wohl rechtswidriger Weise - durchsucht. 
Reicherter, kein Selbstdarsteller wie Kollege Dr. Helmken, sondern eher ein aufrechter - freilich naiv-querulatorischer -  Demokrat, verstieß gegen das (bis zum Tode des richterlichen Beamten wirksames) Mäßigungsverbot und hat(te) die Folgen zu tragen. Reicherter wurden vom OStA Wahnvorstellungen unterstellt - als Replik für den Beitrag Reicherters "Die Wahnvorstellungen des Richters R." in dem Buch Jörg Langs "Politische Justiz in unserem Land"1.



Anmerkungen:

1 zur politisch ausgerichteten Justiz siehe auch Heinrich Hannover, mit Ergänzungen abgedruckt in der FR vom 14.8.2000, S. 7   



Literatur von Dr. Seebald:

Nochmals – Fortgeltung des saarländischen Sozialisierungs-Artikels unter dem Grundgesetz?, DÖV 1978,  645f
- Die öffentliche Zwangspflegschaft für das Disziplinar- und Ruhestandsverfahren in: Betrifft:JUSTIZ 7/1986, 312
- Juristische Rundschau. 1975, Heft 1, Seiten 5–8 (Zur Anwendung des Aufopferungsgedankens beim erlaubten Schwangerschaftsabbruch)

Literatur über Dr. Seebald:
SPIEGEL Nr. 32/1983, 10f
Psychopath, Neurotiker oder Querulant, taz, 1.8.1984, 3
Der Fall Seebald in: Betrifft:JUSTIZ, 6/1986, 288 sowie 12/1986, 356
Psychopathie, Neurose oder Querulantentum, in: Türspalt, Heft 11/ 1986, 62f
FR vom 20.11.86
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