A. Auslegung von Gesetzen erfolgt in der Regel nach der "objektiven" Theorie (s. BVerfG, B. v. 17.5.1960), d. h. in vier Schritten, den sog. Canones nach Savigny: Diese sind die grammatische, die historische, die systematische und die teleologische Auslegung. Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes, das die Würde des Menschen in den Mittelpunkt seines Wertsystems stellt, sind jedwede Gesetze zudem auf Grundrechtekompatibilität zu überprüfen. Dies gilt besonders dann, wenn wie beim § 56 ZPO, der Richter (=Staat) aus seiner Rolle des unbeteiligten Dritten heraustritt, wenn es mittelbar um den Schutz der Institution Gerichtsbarkeit, unmittelbar jedoch um sein persönliches Interesse (auf Befreiung von einer lästiger Partei) geht. Zur Auslegung des § 56 ZPO anhand der sog. Canones1: 1. Grammatisch (Wortlaut/---Wortsinn) Von Amts wegen hat der Richter das nicht Vorhandensein von Prozeßfähigkeit lediglich "zu berücksichtigen". Daß es im richterlichen Ermessen steht, höchstselbst - also auch ohne Parteiantrag - Zweifel zu hegen und eine Zugangsbarriere in Gestalt einer psychiatrischen Begutachtung zu errichten, ist dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht zu entnehmen. 2. Historisch (Entstehnungsgeschichte) § 51 ZPO Abs. 1 Satz 1 bestimmt: Die Fähigkeit einer Partei, vor Gericht zu stehen, ....bestimmt sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Folglich müßte der § 51 ZPO heute (!) auf den § 104 Satz 2 BGB bezogen werden, welcher lautet: Geschäftsfähig ist, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. Ergänzend heißt es in § 52 ZPO: Eine Person ist insoweit prozessfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann. Darauf folgt der § 56 Satz 1 der ZPO, der lautet: Das Gericht hat den Mangel der Parteifähigkeit, der Prozessfähigkeit, der Legitimation eines gesetzlichen Vertreters und der erforderlichen Ermächtigung zur Prozessführung von Amts wegen zu berücksichtigen. Das Interessante: Der Gesetzgeber schwieg zu dem hier interessierenden Fall, daß nicht die Geschäftsfähigkeit in Zweifel gezogen wird, sondern allein die Prozeßfähigkeit. Grundsätzlich gilt: wer nicht geschäftsfähig ist, ist auch nicht prozeßfähig. Logisch wäre also, dass sich Zweifel an der Prozeßfähigkkeit an den Kategorien und Regelungen des BGB zu orientieren haben. Diese Sicht vertreten insbesondere Musielak (NJW 1997, 1739, nach Meyer-Ladewig SGG § 71, 7.Aufl., 2002 mit "beachtlichen Gründen") und bereits zuvor Leipold (Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen, 1966, 119). Leider blieb Musielaks und Leipolds Meinung bis heute Mindermeinung. Wenn es im Ärzteblatt heißt "die Beurteilung der Prozessfähigkeit richtet sich nach den Maßstäben des BGB, anhand derer die Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit geprüft werden", sowie "Zweifel an der Prozessfähigkeit allein genügen zur Annahme von Prozessunfähigkeit nicht", so mag dies auslegungstheoretisch richtig sein, die Gerichtspraxis indes schlug und schlägt andere Wege ein, die der Willkür Tür und Tor öffnen. Der Artikel im Ärzteblatt liefert also ein falsches (!) Bild sowohl der Praxis psychiatrischer Begutachtung als auch der Rechtsprechung. Denn die Rechtsprechung pflegt sich wenig nach der juristischen Literatur zu richten, sondern maßgebend sind die sog. Leitentscheidungen bzw. Grundsatzentscheidungen der Höchstgerichte, in unserem Zusammenhang also die des BGH. Viel zitiert wird etwa die Grundsatzentscheidung des BGH vom 14.07.1053 - V ZR 97/52: für die Feststellung einer partielle Geschäftsunfähigkeit (etwa aufgrund eines Querulanten- oder Eifersuchtswahns) ist weniger die quantitativ bestimmbare Intelligenz als der qualitative Sprung zur Unfreiheit des Willensentschlusses ausschlaggebend, Zitat: "Nach § 104 Nr. 2 BGB sind für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit nicht so sehr die Fähigkeiten des Verstandes ausschlaggebend als die Freiheit des Willensentschlusses." Sodann erfolgt unter Rückgriff auf das Reichtsgericht: Es kommt darauf an, ob eine freie Entscheidung auf Grund einer Abwägung des Für und Wider, eine sachliche Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist, oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil der Betroffene fremden Willenseinflüssen unterliegt, oder die Willenserklärung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ähnlich einer mechanischen Verknüpfung von Ursache und Wirkung ausgelöst wird (RGZ 103, 400; 130, 69) Es geht bei Gericht aber, je nach Gusto, auch anders herum: Ein Beschluß des BSG vom 5.5.2010 orientiert sich zwar, wie es sich gehört, auch am BGB, nun allerdings mit der Intention, die behauptete Prozeßunfähigkeit eines Zahnarztes mit schlechten Gründen zu widerlegen (ausführlich zu dieser Entscheidung siehe unter Kriterien). Immer wenn der Gesetzgeber schweigt, tritt die Rechtsprechung auf den Plan und füllt die vermeintlichen Regelungslücken nach ihrem Gusto, sie schafft sogenanntes "Richterrecht". Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gilt hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit: Im Falle nicht ausräumbarer Zweifel verbleibt es hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit bei der vollen Geschäftsfähigkeit. Das Institut der partiellen Geschäftsunfähigkeit dient also zuvörderst dem Schutze des betreffenden Rechtsgenossen. Ganz anderes aber soll nach höchstrichterlicher Rechtsprechung im Falle verbleibender Zweifel für die Prozeßfähigkeit gelten: Sind die Zweifel nicht ausräumbar, gilt die Partei als (partiell) nicht prozeßfähig. Anders ausgedrückt heißt dies: Die Partei ist partiell, d. h. für einen bestimmten Kreis von Rechtsstreitigkeiten prozessual geschäftsunfähig . Die Zweifel beziehen sich entweder auf das betreffenden Verfahren oder aber auf eine Fachabteilung - z. B. Familiensachen - eines bestimmten Gerichtes. 1955 (BGHZ 18, 184, 190) hat der BGH die Beweislastumkehr eingeführt: Der mit - vom Gericht nicht ausräumbaren - Zweifeln überzogene Rechtssuchende hat seine Prozeßfähigkeit zu beweisen. Dies kann er nur durch ein Privatgutachten, das den Richter umstimmt - in der Realität wohl ein Ding der Unmöglichkeit. Dieser Modus zeigt: Das Institut der partiellen Prozeßunfähigkeit dient zuvörderst dem Schutze der Gerichtsbarkeit, dies wird umso deutlicher, wenn die "Zweifel" seitens des Gerichts und nicht etwa von Beklagtenseite erhoben wurden. Joachim Hellmer spricht deshalb auch zu Recht vom "geradezu infamen Institut der partiellen Geschäftsunfähigkeit und damit partiellen Prozeßunfähigkeit" und fährt fort: "Die Zweifel, die an die Vereinbarkeit dieses Instituts mit Art. 1 Abs.1 GG2 zwingend auftauchen, sind wahrscheinlich nur deshalb noch nicht zum Tragen gekommen, weil die Justiz zugleich die Instanz ist, die über die Einhaltung der Grundrechte zu wachen und zu entscheiden hat, also Partei und Gericht gewissermaßen zusammenfallen." (Hellmer, Der psychiatrisierte Kohlhaas, in: Medizinrecht - Psychopathologie - Rechtsmedizin, Fs. f. Günter Schewe, 1991, 202f ) Nicht verwunderlich ist, daß sich weitere Stimmen, etwa Musielak (NJW 1997, 1736), erhoben haben, die leider bislang Mindermeinungen geblieben sind, weil nur wenige Experten ihm folgten, wie z. B. Bernd-Rüdiger Kern (in: Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Band 5, S. 19 - Hg. Kröber, Saß u.a., 2009). Kern sieht die Beweislastlast der von Zweifeln überzogenen Partei zu Recht als zweifelhaft an, solange der § 52 ZPO am materiellen Recht, d.h. an § 104 BGB, anknüpft, denn bei fraglicher Geschäftsunfähigkeit hat der Staat den Nachweis des Vorliegens einer Geisteskrankheit zu erbringen und nicht der mit Zweifeln überzogene volljährige Bürger. Der rechtspolitische Impetus liegt auf der Hand: die Justiz will sich selbst schützen. Bernhard Schlinks Feststellung, daß Zweifel an der Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen "zugunsten des Bürgers bzw. zu Lasten des Staates gehen" sollten, ist beim BGH noch nicht angekommen. Der Staatsschutz war in der BRD lange Zeit wichtiger als das Grundgesetz (Franziska Augstein, History LIVE, 29.9.13). Sollte dies aber so bleiben? Sollte der Schutz der Justiz im Zweifel vor dem Schutz der Grundrechte - zu denen auch und gerade die Justizgrundrechte zählen - des rechtsunterworfenen Bürgers gehen? Es fehlt an der Regelung "zu wessen Gunsten bzw. Lasten Zweifel gehen" (Schlink, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, 2001, S. 458). Eine solche wäre umso gebotener, nachdem die Kriterien und Maßstäbe für den Rechtsbegriff "Prozeßunfähigkeit" äußerst elastisch sind, und zwar beiderseitig: sowohl auf Seiten der Justiz als auch auf Seiten der Psycho-Sachverständigen. Die Instrumentalisierung der psychiatrischen Wissenschaft durch Staatsorgane gegen mißliebige Bürger ist Legende. Immerhin findet sich im Handbuch der Forensischen Psychiatrie eine kritische Darstellung des Beweislast-Problems, dies unter Bezugnahme auf Schellhammer. 3. Systematisch (Kontext, Zusammenhang) Hier ist festzustellen, daß das ZPO älter ist als das BGB. Das BGB trat 1900, die ZPO aber bereits am 1. Oktober 1879 in Kraft. Der Gesetzgeber hatte also den § 51 ZPO im Blick, als er das BGB schuf. Mit Musielak (NJW 1997, 1739; wie zuvor schon Leipold) ist daher davon auszugehen, daß der Gesetzgeber hinsichtlich der Beweislastregelung den Gleichlauf der Prozeßfähigkeit mit der Geschäftsfähigkeit sicherstellen wollte. Eine Lücke ist auszuschließen. Somit wäre eine Partei im Falle des non liquet wie bei der Frage der Geschäftsfähigkeit als prozeßfähig zu behandeln. Wenn der BGH (BGHZ 18, 184) dies ab 24.9.1955 anders sah, so stellt sich die Frage der Verfassungskonformität der BGH-Regelung. Dies gilt jedenfalls für diejenigen Fälle, in denen der Staat in Gestalt eines Einzelrichters (ein Kollegialgericht bietet i.d.R. erhöhte Richtigkeitsgewähr) "Zweifel" erhebt. Denn hier steht die Einzelperson des Richters der Einzelperson der Partei unmittelbar gegenüber. Der Richter verläßt, zumindest auch von persönlichen Interessen geleitet, die Position des unbeteiligten Dritten und macht die Partei im sog. Zulassungsstreit zum Objekt des Untersuchungsverfahrens. Der Betroffene steht in dieser besonderen Lage bislang ohne den gebotene Grundrechtschutz da. 4. Teleologisch (Ziel, Sinn, (Norm)zweck = ratio legis) Die teleologische Auslegung wird heutzutage häufig (siehe etwa BGHZ 17, 276) als das Kernstück der Auslegungsmethoden angesehen, die im Zweifel den Ausschlag geben. Hassemer vermutet den Grund für dieses Ansehen der objektiv teleologischen Methode darin, dass sie dem Juristen die größte Freiheit gewährt, seine eigene Vernünftigkeit zur Geltung zu bringen (NK § 1 Rn. 114). Dem Richter ist auferlegt, im Falle "vernünftiger" Zweifel an der Prozeßfähigkeit einer Partei den rechten Moment zu finden, in dem er ggf. die Partei einem Psychiater zuführt und sie für prozeßunfähig erklärt. Daß es immer auch um den Schutz der Institution und damit des Richters selbst geht, wird von niemanden bestritten. Kann es dann aber zulässig sein, daß jemand in eigener Sache Richter ist? Wie kann ein Richter zugleich die Menschenwürde schützen und sie ohne (!) Rechtfertigungszwang und ohne (Verhältnismäßgkeits-)Kontrolle beschädigen, indem er massiv in dessen Intimsphäre eindringt und ihn zudem nach aussen stigmatisiert? In vorkonstitutioneller Zeit wird im öffentlichen Interesse3 bei Zweifeln Prozeßunfähigkeit "berücksichtigt" (Planck, Lehrbuch des Deutschen Civilprozessrechts, 1887, 218f) und zugleich dem Beklagten die prozesshindernde Einrede vorliegender klägerischer Prozeßfähigkeit als Verteidigungsmittel zugestanden, da ihm nicht zuzumuten ist, sich auf unnütze Verhandlungen einzulassen. Vorkonstitutionell war auch der sog. "Kanzelparagraph", der als § 130a StGB 1871 aus der Taufe gehoben wurde und bis 1953 (!) Bestand hatte. Dieser drohte Geistlichen, die staatliche Belange "in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise" zum Gegenstand der Erörterung machten, bis zu 2 Jahren Gefängnis an.4 Die Kompliziertheit der Lage spiegelt sich in einem grundlegenden Aufsatz (Birkmeyer, Das Offizialverfahren im Civilprozess, Zs. f. d. deutschen Ziviprozeß, Bd. VII, 1884). Birkmeyer zeigt auf, daß das "öffentliche Interesse" in hohem Grade" am Entmündigungsverfahren beteiligt, und deshalb als Offizialverfahren (in zweiter Stufe beim Landgericht mit Beteiligung des Staatsanwalts als Partei) konstruiert sei, und: Birkmeyer zitiert Gaupps Kommentar zu § 611 C.P.O.: "Das öffentliche Interesse fordert beim Entmündigungsverfahren wie im Eheprozeß die Beschränkung der Parteidisposition und die Befreiung des Richters von formellen Beweisregeln". Diese Begründung im öffentlichen Interesse liegt sicherlich auch der (umstrittenen, siehe Problemstellung, III b) Zulassung des Freibeweises durch den BGH im Zulassungsstreit zugrunde. Zum § 54 CPO (heute § 56 ZPO) erwähnt Birkmeyer, das die Motive ausdrücklich hervorhöben, daß die Vorschrift im öffentlichen Interesse getroffen worden sei (op.cit. S. 177). Im Nationalsozialismus enthielt die ZPO-Novelle von 1933 neue Bezüge auf das 'Volksganze' und stellte das 'Interesse der Allgemeinheit' in den Vordergrund (Wolfgang Brehm, Rechtsschutzinteresse, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Bd.III, 2000, 91). Das Argument "öffentliches Interesse" kann heute, nach Geltung des Grundgesetzes und der Menschenrechtekonvention, dort Art. 6, nicht gleichgewichtig gegenüber dem Individualinteresse sein. Insbesondere muß der Rechtsgewährungsanspruch des Bürgers Vorrang vor den Kosten zu Lasten der Allgemeinheit genießen. Mit Geltung des Grundgesetzes sollte der Staat äußerst sensibel in der Abwägungsfrage zwischen Rechtsschutzgewährungsanspruch (dieser erwächst der Rechtsschutzgewährungspflicht des Staates aus Art. 19 IV GG) des Einzelnen und Schutzes der Allgemeinheit vor ungerechtfertigter Nutzung der Rechtspflegeorgane reagieren; dies ergibt sich bereits aus der Fürsorge- und der daraus abzuleitenden Hinweispflicht des Gerichts. Dementsprechend hat der Gesetzgeber beim neuen Betreuungsgesetz beim Regelungsziel bewußt auf den "Schutz der Allgemeinheit" verzichtet (BT-Dr 11/4528, S. 136). Wie kaum anders zu erwarten, fand diese fortschrittliche Einstellung in der Rechtsprechung wenig Resonanz. denn auf die "Sicherung des Rechtsverkehrs" mochte niemand verzichten (Crefeld, FuR 1990, 274), so daß der "Wohltat" der Entmündigung / Betreuung für den Betroffenen oft auch ein Bedrohungspotential - siehe dazu ein wohl einzigartigen Erfahrungsbericht der RA'in Claudia Grether - innewohnt, siehe auch den jüngsten, von Prof. Volker Rieble wohl auch als Satire dargestellten Fall der Betreuung einer Betreuerin (hier der Rechtsanwältin Dr. M.), mit dem sich das BVerfG am 2. Juli 2010 beschäftigte. "Wem sich da die Haare nicht sträubten, dem ist nicht zu helfen," und: "Selbstherrlichkeit ist das Geringste" (Rieble). Die strukturelle Gewalt des Staates schlägt sich in Musterformularen zwecks Erfassung von Betreuung nieder: Beispiele. Wie mögen diese im jüngsten Betreuungfall Gurlitt wohl ausgefüllt worden sein? Nach Meinung des BGH erwächst dem Gebot des fairen Verfahrens denn auch, daß die "Funktionsfähigkeit" der Justiz vor zusätzlichen Belastungen geschützt werden muß (NJW 2005, 3776). Baumbach nennt dies "Prozeßökonomie". Nach Hassemer regiert den Strafprozeß 'Effektivität', was dreierlei heiße: Ökonomie; Abwehr von Störungen; Entformalisierung (KritV 1988, 339). Hassemer beschäftigte sich mit dem Trend zur Verkürzung der Rechtsmittel, zur Einschränkung von Verfahrensrechten und zur Entformalisierung. Auf unsere Fragestellung ist dies weitgehend übertragbar: Richterliche Zweifel an der Prozeßfähigkeit unterliegen bis dato keinem Begründungszwang und es exisitert folglich gegen den Beweisbeschluß kein unmittelbares Rechtmittel. Diese Entformalisierung dient der Effektivität des Zivilverfahrens. Auch hier sollte gelten: Die "Idee von der Unverfügbarkeit der Menschenrechte" kann nur durch abwägungsfeste, unverfügbare Rechtsprinzipien gesichert werden. Zusammengefaßt kann man mit Hassemer (Menschenrechte im Strafprozeß, ZRP, 2007, 216) feststellen: "Das teleologische Kriterium verbirgt sich hinter der Stirn des Richters ... man kann ihm nur die eigene Stirn bieten." Ökonomische Präferenz ist ein wesentliches Charakteristikum totalitärer Staaten: "Naturgemäß" ist die Rechtsprechung weniger an den Rechten des Einzelnen, und mehr an dem Funktionieren der Institution interessiert. Zuivörderst geht es dem "normalen" Richter um Prozeßökonomie zwecks Sicherung des "knappen Gutes" Rechtspflege. Das geltende Grundgesetz erwuchs - zum Glück, wenn es denn richtig angewendet wird - als Reaktion auf diese Ausgeburt des Inhumanismus. Zu diesen vier klassischen Auslegungslehren treten nach Hassemer (ZRP 2007, 215) noch drei hinzu5: 5. die verfassungskonforme Auslegung 6. die europarechtskonforme Auslegung 7. die folgenorientierte6Auslegung Für unsere Fragestellung besonders bedeutsam (und neu!) ist die Nr. 7, denn: Die Folgen leichtfertig in die Welt gesetzter "Zweifel" am Geisteszustande eines Menschen in der Schutzzone einer unanfechtbaren Zwischenentscheidung sind beträchtlich, denn sie tangieren den Betroffenen massiv in seinen Grundrechten und zugleich das Recht auf ein faires Verfahren nach der EMRK, mehr noch: sie können existenzvernichtend sein. Bereits 1966 betonte Kuchinke, daß bereits bei der Überzeugungsbildung das Gewicht der Entscheidung für den Betroffenen zu berücksichtigen sei7, um fortzufahren: "so wird in Zivilsachen ein für einen Beteiligten ruinöser Prozeßausgang die Beweisanforderungen vergrößern. ..." (Freiheit und Bindung des Zivilrichters in der Sachaufklärung, 1966, 36). Da Auslegung und Anwendung des § 56 ZPO reinem Richterrecht entspringt, wird der Richter in modo
legislatoris tätig. Damit trifft ihn, wie den Gesetzgeber, eine Folgenverantwortung. Dies verpflichtet ihn, die Tatsachengrundlage für seine Zweifel offenzulegen, dies auch, um die Legitimation der Rechtsanwendung zu erhöhen. Unter der Perspektive der betroffenen Grundrechtsträger dürfte der Gesetzgeber in Kenntnis des Mißbrauchspotentials des § 56 ZPO nicht weiter untätig bleiben, denn es liegt auf der Hand, daß es im Zuge der Prüfung der Prozeßvoraussetzungen einen Unterschied macht, ob man etwa eine Prozeßvollmacht überprüft, oder den Geisteszustand einer Prozeßpartei. Umfassend zur folgenorientierten Auslegung: Deckert, JuS 1995, 480-484. Zumindest im Zweifel sollte der Individualanspruch auf Justizgewähr dem Funktionsinteresse des Staates (euphemistisch gesprochen: dem "öffentlichen Interesse" an der Gewährleistung des "Rechtsfriedens") vorgehen, denn eine zu Unrecht psychiatrisierte Partei kann keinen Rechtsfrieden finden, sondern wird faktisch zum Kontrahenten eines staatlich angestellten "Rechtswahrers" (NS-Jargon), der im "Interesse des Staates" (v. Weber, Die Prüfung von Amts wegen, ZZP 1933, 91, 97) agiert hatte. Aber auch nach Geltung des Grundgesetzes soll der Richter zwar für ein "ordnungsgemäßes", d. h. "wirksames und zweckdienliches" Verfahren "im Interesse der Allgemeinheit" (Lukes, ZZP 1956) sorgen. Wenn auch die "Justizgewährung" des Staates Surrogat vorstaatlicher Selbsthilfe sein mag, so hat eben dieser Staat als Inhaber des Justizmonopols dem rechtsuchenden Bürger (im Zivilverfahren) eine Fülle von Pflichten auferlegt - im Interesse der Gesamtheit an einer funktionierenden Rechtspflege, kurz: im "öffentlichen Wohl" - , so die Wahrheitspflicht, das Vollständigkeitsgebot (§ 138 ZPO), die Aufklärungspflicht, die Prozeßförderungspflicht, die Beibringungspflicht, die Mitwirkungspflicht, das Schikaneverbot, das Verbot unzulässiger Rechtsausübung, z.B. das venire contra factum proprium gem. § 242 BGB. Über das Verhalten des Richters den Parteien gegenüber findet man vergleichsweise wenige Ergüsse in der juristischen Fachliteratur. Auch der Gesetzgeber beschränkte sich im wesentlichen auf den § 139 ZPO (Hinweispflicht), abgesehen von den auf das Judiz zielenden, von der Verfassung (v. a. Art. 19 Abs.4 GG = Gebot effektiven Rechsschutzes) ableitbaren Grundsätzen, also etwa das Verhältnismäßigkeitsgebot oder Übermaßverbot. Oberstes Ziel ist die "Bewährung der Rechtsordnung", d. h. Rechtsfrieden und Rechtssicherheit. Letztere fordert: Im Interesse der Rechtssicherheit muß eine Partei auch ein Fehlurteil (Beispiele) hinnehmen. Zuvörderst ist daher zu bedenken: 1. Das Grundgesetz garantiert für jedermann den Anspruch auf Justizgewähr. 2. Regelmäßig besteht die Gefahr, daß ein Richter im höchstpersönlichen Interesse - nämlich zwecks Arbeitsentlastung oder Einschüchterung bzw. Bestrafung unliebsamer Parteien - rechtsmißbräuchlich zur Keule des § 56 ZPO greifen könnte. Hierzu jedoch pflegen sich beamtete Juristen kaum kritisch zu äußern; sie verharren bei der Perspektive "von oben", der nur durch Verfahrensrechtliche Sicherungen für den Betroffenen begegnet werden kann - uns sollte! Exemplarisch für diese Einschätzung steht der Aufschrei des Amtsrichters Klaus Burckhardt in der Deutschen Richterzeitung (1988, 346) der sich gegen das "Mißtrauen gegen die Gerichte und psychiatrischen Krankenhäuser" und gegen die durch das neue Betreuungsrecht dem Richter eingezogenen "Korsettstangen" empört, was auf eine Kontrolle der Kontrolleure hinausliefe. Geradezu wohltuend aus Praxiserfahrung mit Richtern dagegen, siehe Catharina Rogalla (Die Verfahrenspflegerin - eine Identitätskrise im Verlauf, in: R&P 1996, 130, 133, 135), die zum Ergebnis kommt: "Das Spannungsverhältnis zwischen Fürsorge und Entrechtung sollte nicht zuletzt mit Hilfe zwingend zu beachtender umfassender Verfahrensgarantien zufriedenstellen gelöst werden." (Eben diese Forderungen erhebt der Verfasser für das Zulassungsverfahren bei amtswegigen Zweifeln an der Prozeßfähigkeit.) Die vorstehenden Überlegungen bestätigen Musielak, der im Falle des non liquet bei Zweifeln an der Prozeßfähigkeit für den Bürger und gegen das Staatsinteresse auf Exklusion unbequemer Rechtsuchender plädiert! Damit plädiert Musielak ähnlich wie Volkart (Maßregelvollzug, 1999, 7f), der für das in-dubio-pro-reo hinsichtlich § 63 StGB plädiert, was heißt, daß ein Gericht eine Unterbringung dann nicht anordnen darf, wenn "es nach der Überzeugung des Gerichts nur wahrscheinlich, aber nicht sicher ist, daß der Anlaßtat eine krankhafte seelische Störung zugrunde liegt". Vielleicht noch ergiebiger für unsere Fragestellung ist ein Vergleich mit dem § 62 StGB, nach dem abgewogen gehört, ob eine Unterbringung zur Schwere der Anlasstat verhältnismäßig ist. Im Fall Mollath galt offenbar das Gegenteil: Im Zweifel gegen den Angeklagten, laut Prantl wegen des vermeintlich "gestiegenen Sicherheitsbedürfnisses" der Bevölkerung, auf das Gutachter und Gerichte reagiert hätten. Das Bundesverfassungsgericht muß immer wieder einmal im Falle einer offensichtlich unverhältnismäßigen Unterbringung eingreifen, siehe nur die Entscheidung vom 24.7.2013. Für den non-liquet-Fall (nicht ausgeräumter Zweifeln an der Prozeßfähigkeit) dürfte kaum das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung im Vordergrund stehen, sondern die Bequemlichkeit der Justiz höchstselbst. Daher muß - von Verfassung wegen - eine Verhältnismäßigkeitsprüfung (Bedeutung der Sache für die betroffene Partei) erfolgen, dies umso mehr, wenn es sich um offensichtlich psychiatrisch "gesundes" (vernünftiges) abweichendes Prozeßverhalten handelt. Zur unterschiedlichen Bedeutung des Begriffes 'krankhaft': Die Rechtsprechung spricht schon lange von "krankhaft" - so z. B. von "krankhafter Geistesschwäche", die dann "krankhaft" ist, wenn sie die freie Willensbildung ausschließt. In der Psychiatrie hingegen verweist das Adjektiv "krankhaft" - nach Kurt Schneider - immer auf "krankhafte Organprozesse". Der Begriff "krankhaft" weist also auf Gehirnkrankheiten8 hin: "Die psychischen Erscheinungen sind nie die Krankheit selbst, sondern immer nur Ausdruck, Symptom der Krankheit; daher ist für sie die Bezeichung 'krankhaft' vertretbar." Wolfgang de Boor (Bewußtsein und Bewußtsseinsstörungen, 1966, S. 10) Medizinisch nicht krankhaft sind jedoch Psychopathen, also aus der Durchschnittsnorm herausfallende Nichtangepaßte bzw. Störer und Querulanten. (Daß hiermit gesellschaftspolitische Fragen aufgeworfen werden, liegt auf der Hand.) Zu diesen Spezies erfand die Rechtsprechung den Begriff "von Krankheitswert". Anmerkungen: 1 Die Canones dienen allerdings in der Praxis eher zur Begründung, die nicht selten Scheinbegründungen sind (Foerste, JZ 2007, 122-135), denn: entscheidender ist das sog. Rechtsgefühl bzw. Intuition des Richters, hinter denen wiederum bewußte und unbewußte Voreinstellungen stehen. Die Zeit- und Subjektgebundenheit der richterlichen Vorstellung von "Normzustand" - und damit eben auch ihre Zufälligkeit - liegt somit auf der Hand. Für die Gerichtspraxis zählen solche Einflüsse sicherlich mehr als Methodenfragen, die (nach Rüthers) Verfassungsfragen sind. 2 Mit Art. 1 GG ist das sog. "allgemeine Persönlichkeitsrecht" tangiert, siehe dazu das Urteil des BAG vom 19.02.2015. Auf unseren Diskussionsgegenstand übertragen gilt analog: Vermag ein Richter seine Zweifel an der Prozeßfähigkeit einer Partei nicht auf konkrete (anerkannte) Tatsachen zu stützen, handelt er rechtswidrig. 3 die Kontroverse "öffentliches" und "privates" Interesse (ähnliches gilt für die Dichotomie subjektives/objektives Recht) - ist seit langem zum Dauerthema rechtswissenschaftlich-professoraler Ergüsse geworden; zum Thema 'Rechtsschutz gegen den Richter' (Voßkuhle, 1993) findet sich demgegenüber herzlich wenig, umgekehrt proportional zum Verfahrensrecht, das zu dieser Frage weitgehend schweigt, siehe nur die Leerstelle des § 56 ZPO. Bei allen Vorschriften, die den Staat "von Amts wegen" tätig werden läßt, geschieht dies - jedenfalls auch - im öffentlichen Interesse. Voßkuhles Thematik der 'Integration der Dritten Gewalt in das verfassungsrechtliche Kontrollsystem' harrt bis heute der Realisation, denn jede Kontrolle setzt Regelungen voraus; der schöne Satz "Verfahrensrecht ist geronnenes Verfassungsrecht" bleibt für den Rechtsunterworfenen ohne substantielle Verfahrensregeln gegen staatliche Übergriffe "von Amts wegen" purer Euphemismus. 4 Auffallend sind Parallelen bei der Verfolgung vermeintlicher Prozeßunfähigkeit. Zum einen die Parallele zu der gängigen, gänzlich unbestimmten Floskel "Art und Weise" prozessualen Verhaltens. Maßgebender noch ist der zweite unbestimmte Rechtsbegriff "öffentlicher Frieden". Übertragen auf unsere Fragestellung hieße dies: Die Justiz will in Frieden gelassen werden. 5 Peter Häberle's Lehre von der Rechtsvergleichung als "fünfte Auslegungsmethode" wird hier nicht weiter verfolgt. 6 Die Folgenorientierung spielt im Strafrecht die Hauptrolle, siehe Hassemer, FS für Coing, 1982, 493ff, denn nur hier entstehen der Allgemeinheit Folgelasten- und Kosten. Aus der Sicht eines Rechtsunterworfenen können jedoch in manchen anderen Rechtsgebieten, insbesondere da, wo es um prognostische Entscheidungen geht, wie etwa im Kindschaftsrecht, Fehlentscheidungen nachhaltig negative Folgen zeitigen. Übersicht: Deckert, Die folgenorientierte Auslegung, JuS 1995, 480-484. Eine folgenorientierte Anwendung des Gesetzes ist höchst probematisch, da hier der Subjektivität des individuellen Richters Tür und Tor geöffnet wird: Deshalb kann es allein Sache des Gesetzgebers sein, die Anwendungsfolgen in den Blick zu nehmen, die besonders im ausgeuferten Familienrecht katastrophal sein können! Die Siegener Dissertation von Christa Coles (Folgenorientierung im richterlichen Entscheidungsprozeß, 1990) entspricht studentischer Utopie. Sie und ihr Doktorvater Weimar hätten besser getan, sich mit Rechtstatsachenforschung zu beschäftigen. 7 Die eigenen Erfahrungen können das Vorhandensein dieser Restriktion nicht bestätigen, der strukturelle Größenwahn des Durchschnittsrichters läßt eine solche Bedenklichkeit eher selten zu. Wo bleibt der Schutz vor dem Richter? 8 Hellpach konstatierte 1906, daß die Behauptung, Geisteskrankheiten seien Gehirnkrankheiten nur bedeute, daß auch das Gehirn krank gedacht werden müsse, wo die Psyche als krank erkannt ist (zitiert nach Metzger, Der Psychiatrische Sachverständige, 1919, 112f). Hellpach setzte sich damit in Gegensatz zu den Somatikern, wie Griesinger. Konservative Literatur zum Rechtsschutzbedürfnis und Rechtsmißbrauch - Lent, Zur Unterscheidung von Lasten und Pflichten der Parteien im Zivilprozeß, ZZP 1954, 344 - Baumgärtel, Treu und Glauben, gute Sitten und Schikaneverbot im Erkenntnisverfahren, ZZP 1956, 89 - Pohle, Zur Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, FS für Lent, 1957, 195- Baumgärtel, Treu und Glauben im Zivilprozeß, ZZP 1973, 153 (betreibt angeblich Rechtstatsachenuntersuchung zum Querulantentum - ein Ergebnis wurde nie vorgelegt!) - Kahlke, Zur Beschaffenheit der Prozeßfähigkeit, ZZP, 1987, 10-33 Kritische Literatur: - Leipold, Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen, 1966, 119 - Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, 1975, 323ff - Ekkehard Schumann, Kein Bedürfnis für das Rechsschutzbedürfnis - Zur Fragwürdigkeit des Rechtsschutzbedürfnisses als allgemeine Prozeßvoraussetzung. FS Hans Fasching, 1988, 439-449 - Schlosser, Anmerkung zum BGH-Beschluß vom 4.3.1993, ZZP 1993, 533-538 - Musielak, Die Beweislastregelung bei Zweifeln an der Prozeßfähigkeit (NJW 1997, 1736ff) - Rüthers, Geleugneter Richterstaat und vernebelte Richtermacht, NJW 2005, 2759 Gegen Leipold und Musielak: - Reinicke, Entspricht die objektive Beweislast bei der Prozeßfähigkeit derjenigen bei der Geschäftsfähigkeit?. FS f. Robert Lukes, 1998, 755ff - Bork, ZZP, 1990, 468ff |