Durch die Medien wurden immer wieder Fälle bekannt, in denen unbequeme Personen "von oben" psychiatrisiert wurden. In allen nachfolgend vorgestellten Fällen lösen persönliche oder politische Interessen einflußreicher Personen die Psychiatrisierungen aus. In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts suchte die antipsychiatrische Bewegung psychische Störungen durch gesellschaftliche Probleme (Labeling-Theorie) zu erklären und die Psychiatrie als repressives Instrument darzustellen, beginnend mit Laing, Goffman, Szasz1, Cooper, oder die mehr anti-institutionell ausgerichteten Basaglia und Jervis. In Deutschland sorgte das SPK in Heidelberg, der Hochburg der traditionellen Psychiatrie2 (Kurt Schneider-Schule), für Unruhe, siehe den Prozeß des LG Karlsruhe gegen Dr. Wolfgang Huber, das diesen psychiatrisch begutachten ließ - nach Erich Wulff, Psychiatrie und Herrschaft, 1978, 507 (=Argument Studienheft 34) ein politischer Prozeß3. Nachwirkung dieser zeitlich begrenzten Bewegung findet sich in der Irren-Offensive, die 1980 in Westberlin gegründet wurde. Sonja Süß hält die "Stereotype" antipsychiatrischer Denk- und Argumentationsmuster für "längst überholt" (s. Politisch mißbraucht?, 1998, 32). Dem kann man nur bedingt zustimmen, denn wohl kaum eine andere Disziplin ist so anfällig für Mißbrauch, wie die Psycho-Disziplinen in ihrer Praxis vor dem Hintergrund des Gesellschaftssystems. Dies liegt zum einen an der Unklarheit der Schulen und Begriffe, zum anderen an der gesellschaftlichen Funktion der Psychiatrie, hier wiederum allen voran der Rechtsprechung. Süß arbeitet die instrumentelle Anpassung der DDR-Psychiater am Beispiel des des Doktoranden Dr. med. Dr. jur. Horst Böttger heraus (Süß, a.a.O., 442 ff). Die justizielle Aufarbeitung dieses Falles in der Nachwende-BRD tat sich gleichwohl schwer. Eine entsprechende Tatsachenforschung steht in der BRD noch aus, das politische Klima ist nicht mehr das der 68er, selbst eine Studie wie die von Werst / Hemminger, die nie veröffentlicht wurde, wäre heute undenkbar. Immerhin finden sich doch vereinzelte Stimmen, die - entgegen Süß - Fälle politisch motivierten Psychiatrie-Mißbrauchs in der DDR aufzeigten, wie die Friedrich Weinbergers. Nur gelegentlich werden Fälle von Fehleiweisungen aufgrund von Fehlbegutachtungen ruchbar, wie die Fälle Mollath oder Lindlmair. Überdauernder und ergiebiger waren demgegenüber die Beiträge seitens der Psychoanalyse, Psychologie und Soziologie sowie deren Verbindungen (Sozialpsychologie und -Psychiatrie). Erich Wulff erweiterte die starre Lehre um die sog. Ethnopsychiatrie, in der Folge seiner Vietnam-Erfahrung. Diese (teils) hermeneutischen Wissenschaftszweige führten zu neuen Begrifflichkeiten, so insbesondere zu interaktionellen Denkmodellen oder zu Situationsanalysen, die die starren Typologien und Etikettierungen zu überwinden suchten - man könnte in dieser Entwicklung immerhin einen Demokratisierungsprozess sehen, im Sinne einer Erweiterung des Blickwinkels mithilfe anderer Disziplinen, insb. der Soziologie. Anmerkungen: 1 Insbesonder Szasz wird in die Nähe der Scientology-Kirche gerückt, die sich allerorten der Kritik an der etablierten Psychiatrie befleißigt, möglicherweise deshalb, um sich als geläuterte Heilsbringer darzustellen. 2 Dem überaus eitlen, NS-belastete Psychiater Bürger-Prinz galt Heidelberg als "Mekka der Psychiatrie schlechthin" (Prof. Dr. Hans Bürger-Prinz, Ein Psychiater berichtet, 1971, S. 35, 51). Dieses "Mekka" gründet sich auf die Namen Kraepelin, Schneider und Wilmans; vielleicht kein Wunder, daß sich eben gerade dort das SPK gründete, vielleicht auch kein Wunder, daß der Fall der Psychiatrisierung des Verfassers sich eben dort ereignete. Bürger-Prinz war übrigens in der NS-Zeit sowohl als wehrpsychiatrischer Gutachter als auch am Erbgesundheitsgericht Hamburg tätig. Nb.: Eine "wehpsychiatrische Sicht" ist bis heute gängig (Beispiel), nur wird derzeit nicht mehr über Leben oder Tod des Soldaten entschieden. 3 Prof. Wolfgang Huber wurde eine "pathologische Struktur" (Struktur=Genetik) attestiert, während nach Prof. v. Baeyer Hubers Persönlichkeitsentwicklung lediglich "abnorm" verlaufen sei, "etwa im Sinne der Entwicklung zu einem fanatischen Psychopathen" (Kursbuch 32 (1973), 103). Huber und sein SPK mag zwar im Strom der 68er geschwommen sein, dies jedoch vor dem Hintergrund der konventiellen deutschen Psychiatrieschulen a la Kurt Schneider, siehe SPIEGEL 46/1972. Nachfolgend einige Links: - |
Fälle nach Geltung des GG
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