- Verfassungsbeschwerde?

Soll ein Betroffener Verfassungsbeschwerde erheben?

Zwar bleibt es dem Betroffene überlassen, die psychiatrische Untersuchung zu verweigern. Dies jedoch würde den Verzicht auf das Recht gleich kommen, persönlich vor Gericht aufzutreten, denn der Anspruch auf Justizgewährung geht bei Nichtteilnahme an der psychiatrischen Untersuchung verloren. Die Frage, ob eine ansonsten uneingeschränkt geschäftsfähige Person im Falle nicht ausgeräumter "Zweifel" als nicht prozeßfähig erklärt werden muß, beantwortete der BGH mit "ja". Der Gesetzgeber hat sie bislang nicht beantwortet: eine gesetzliche Regelung ist daher dringend geboten. 

Verweigert ein mit Zweifeln des Gerichts an seiner Prozeßfähigkeit überzogener Kläger die psychiatrische Begutachtung, kann das Gericht nach "Erschöpfung" der erschließbaren Erkenntnisquellen zu Lasten des Klägers von dessen Prozeßunfähigkeit ausgehen und die Klage als unzulässig zurückweisen. Dem Kläger bleibt dann nur noch die Nichtzulassungsbeschwerde (BGH, Beschluss vom 9. 11. 2010VI ZR 249/09 - Kommentar), verbunden mit dem Antrag auf Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB, dem zum Prozeßunfähigen erklärten Beklagten bleibt die Beiordnung eines Prozeßpflegers gem. § 57 ZPO.  

Bei dieser Rechtslage (nicht: Gesetzeslage!) sollte jedoch in geeigneten Fällen mutmaßlichen Rechtsmißbrauchs fristgerecht (4 Wochenfrist!) Verfassungsbeschwerde erhoben werden. Geeignet sind diejenigen Fälle, in denen keine Vorwarnung - richterlicher Hinweis - erging, das prozessuale Verhalten der betroffenen Partei (noch) als nicht unverhältnismäßig zur Bedeutung der Sache erscheint und das Gericht keine hinreichende Begründung für seine Zweifel lieferte, so daß sich der Eindruck der Willkür1 aufdrängen muß. 



Denn bei der vorliegenden Problematik geht es nicht nur um schlichte Rechtsanwendungsfehler, sondern um Grundrechtseingriffe sowie ggf. um die die Verletzung des Gebotes der Verhältnismäßigkeit.

Konkret zu rügen wäre also: 

- der Verstoß gegen die Begründungsverpflichtung des Staates bei Eingriffen in Grundrechte (hier in Gestalt einer psychiatrischen Untersuchung des Geisteszustandes), 

- die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, diese sowohl bei den Gründen als auch bei den Mitteln der Zweifel-Aufklärung - die psychiatrische Begutachtung zählt zu den denkbar stärksten Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht bei gleichzeitig erheblichen Gebundenheit an das Subjekt des Untersuchenden. Die den Zweifeln zugrunde gelegten Gründe müssen also hinreichend schwerwiegend sein nur dann wäre die Begutachtung nicht unverhältnismäßig.

Damit die Verfassungs-Beschwerde nicht im Allgemeinen Register des BVerfGs hängen bleibt, muß allerdings der Rechtsweg (Beschwerde, Gegenvorstellung usw.) ausgeschöpft sein, eine Frage, für die die Rechtsordnung in diesem Falle keine klare Antwort liefert, weshalb vorsorglich auch als unzulässig geltende Rechtsmittel eingelegt werden sollten - ein Zuviel schadet hier nichts - Christian Weber liefert (wenn auch im Zusammenhang mit der Begutachtung der Geschäftsfähigkeit) gute Argumente2. Weitere Ansatzpunkte liefert ein Beschluß der BVerfGs:  
- B.v. 7.3.1995 - 2 BvR 1509/94 (NStZ-RR 1996, 38f), 
u. a. heißt es dort: 
"... woraus sich die Zweifel ergeben, wird nicht mitgeteilt." 

Es ging hier um Zweifel an der geistigen Gesundheit eines Rechtsanwalts in einem Strafverfahren wegen versuchten Prozeßbetrugs, für den das Gericht (AG) - ohne die geringste Begründung - eine 10tägige Unterbringung zur Vorbereitung eines Gutachtens angeordnet hatte. Tatsächlich lagen keinerlei tragfähige Gründe vor, die eine derartige Maßnahme nach § 81 StPO auch nur entfernt hätten rechtfertigen können. 

Das Beispiel demonstriert die unglaubliche Leichtfertigkeit, mit der Gerichte glauben, unliebsame Rechtsgenossen psychiatrisieren zu können, eine Leichtfertigkeit, die sich in allen Gerichtszweigen ausgebreitet hat, was die Relevanz der hier abgehandelten Thematik verdeutlicht.  



Anmerkungen:
1 Willkür kann sowohl in der Rechtsanwendung als auch im Verfahren auftreten. Das BVerfG greift in Willkürfragen allerdings nur in krassen Fällen ein (Beispiel). 

2 auch Christian Weber meint (Ziffer 4): 
"Die Anordnung der Begutachtung durch einen Sachverständigen zur Überprüfung der Prozessfähigkeit kann der Beschwerde unterliegen, wenn sie sich als Grundrechtseingriff darstellt."
Bei der einer Verfassungsbeschwerde vorausgehenden einfachen sofortigen Beschwerde ist also der Schwerpunkt auf den mangelhaft begründeten Grundrechtseingriff zu legen!

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