Der früheste Entwurf der noch im wesentlichen heute noch geltenden Zivilprozeßordnung findet sich in den von Werner Schubert 1985 herausgegebenen "Protokolle der Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes" (Stand: 11.7.1868), dort Sechster Titel "Von der Prozeßfähigkeit". Der § 66 führt dort aus: "Die Fähigkeit einer Partei, vor Gericht zu stehen (Prozeßfähigkeit), ... ist nach dem bürgerlichen Recht zu beurteilen". Die Begründung des Entwurfs der Zivilprozeßordnung von enthält in den Materialien (Stegemann/Hahn, Bd. 2, Neudruck von 1983,S. 166) noch folgenden Hinweis: "Die Prozeßfähigkeit ist ein Ausfluß der Handlungs- und Dispositionsfähigkeit. Wer handlungsfähig und wer dispositionsfähig ist, bestimmt das bürgerliche Recht." Die Konnexität ("Ausfluß") von Geschäftsfähigkeit und Prozeßfähigkeit, die, wenn auch beide der Amtsprüfung unterliegen, unterschiedlichen Maximen folgen, ist ein bis heute ungeklärtes Rechtsproblem, das richterlicher Willkür Tür und Tor öffnet. Bis heute wurde diese Verweisung von der ZPO auf das Bürgerliche Recht nicht geändert, mehr dazu s. Anm. 1. Eine neue Fassung der ZPO folgte am 17. Mai 1898 zur Anpassung an das neue BGB. Die nachfolgenden Revisionsnovellen von 1905, 1910 und 1975 ließen die hier diskutierten §§ 50 ff ZPO ebenso unangetastet, wie in den Novellen von 1924 und 1933. Der Erste Titel der frühesten Fassung der CPO von 1877 lautete: §. 50. Die Fähigkeit einer Partei, vor Gericht zu stehen, die Vertretung nicht prozeßfähiger Parteien durch andere Personen (gesetzliche Vertreter) und die Nothwendigkeit einer besonderen Ermächtigung zur Prozeßführung bestimmt sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nicht die nachfolgenden Paragraphen abweichende Bestimmungen enthalten.§. 51. Eine Person ist insoweit prozeßfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann. Die Prozeßfähigkeit einer großjährigen Person wird dadurch, daß sie unter väterlicher Gewalt steht, die Prozeßfähigkeit einer Frau dadurch, daß sie Ehefrau ist, nicht beschränkt. Die Vorschriften über die Geschlechtsvormundschaft finden auf die Prozeßführung keine Anwendung.§. 52. Einzelne Prozeßhandlungen, zu welchen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts eine besondere Ermächtigung erforderlich ist, sind ohne dieselbe gültig, wenn die Ermächtigung zur Prozeßführung im Allgemeinen ertheilt oder die Prozeßführung auch ohne eine solche Ermächtigung im Allgemeinen statthaft ist.§. 53. Ein Ausländer, welchem nach dem Rechte seines Landes die Prozeßfähigkeit mangelt, gilt als prozeßfähig, wenn ihm nach dem Rechte des Prozeßgerichts die Prozeßfähigkeit zusteht.§. 54. Das Gericht hat den Mangel der Prozeßfähigkeit, der Legitimation eines gesetzlichen Vertreters und der erforderlichen Ermächtigung zur Prozeßführung von Amtswegen zu berücksichtigen. Die Partei oder deren gesetzlicher Vertreter kann zur Prozeßführung mit Vorbehalt der Beseitigung des Mangels zugelassen werden, wenn mit dem Verzuge Gefahr für die Partei verbunden ist. Das Endurtheil darf erst erlassen werden, nachdem die für die Beseitigung des Mangels zu bestimmende Frist abgelaufen ist.§. 55. Soll eine nicht prozeßfähige Partei verklagt werden, welche ohne gesetzlichen Vertreter ist, so hat der Vorsitzende des Prozeßgerichts derselben, falls mit dem Verzuge Gefahr verbunden ist, auf Antrag bis zu dem Eintritte des gesetzlichen Vertreters einen besonderen Vertreter zu bestellen. Der Vorsitzende kann einen solchen Vertreter auch bestellen, wenn in den Fällen des §. 21 eine nicht prozeßfähige Person bei dem Gericht ihres Aufenthaltsorts oder Garnisonorts verklagt werden soll.Ausweislich der von C. Hahn herausgegebenen gesammelten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 541, Protokoll der 16. Sitzung vom 24.11.1874, wird insbesondere der § 50 "ohne Debatte angenommen".Bis heute blieben diese Vorschriften, sieht man von sprachlicher Modernisierung ab, bis hin zum Wortlaut u n v e r ä n d e r t ! Die aktuelle Fassung (Stand: 2005) liest sich daher wie folgt: § 51 Prozessfähigkeit; gesetzliche Vertretung; Prozessführung (1) Die Fähigkeit einer Partei, vor Gericht zu stehen, die Vertretung nicht prozessfähiger Parteien durch andere Personen (gesetzliche Vertreter) und die Notwendigkeit einer besonderen Ermächtigung zur Prozessführung bestimmt sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nicht die nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten. § 52 Umfang der Prozessfähigkeit (1) Eine Person ist insoweit prozessfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann. § 53 Prozessunfähigkeit bei Betreuung oder Pflegschaft Wird in einem Rechtsstreit eine prozessfähige Person durch einen Betreuer oder Pfleger vertreten, so steht sie für den Rechtsstreit einer nicht prozessfähigen Person gleich. § 54 Besondere Ermächtigung zu Prozesshandlungen Einzelne Prozesshandlungen, zu denen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts eine besondere Ermächtigung erforderlich ist, sind ohne sie gültig, wenn die Ermächtigung zur Prozessführung im Allgemeinen erteilt oder die Prozessführung auch ohne eine solche Ermächtigung im Allgemeinen statthaft ist. § 55 Prozessfähigkeit von Ausländern Ein Ausländer, dem nach dem Recht seines Landes die Prozessfähigkeit mangelt, gilt als prozessfähig, wenn ihm nach dem Recht des Prozessgerichts die Prozessfähigkeit zusteht. § 56 Prüfung von Amts wegen (1) Das Gericht hat den Mangel der Parteifähigkeit, der Prozessfähigkeit, der Legitimation eines gesetzlichen Vertreters und der erforderlichen Ermächtigung zur Prozessführung von Amts wegen zu berücksichtigen. (2) Die Partei oder deren gesetzlicher Vertreter kann zur Prozessführung mit Vorbehalt der Beseitigung des Mangels zugelassen werden, wenn mit dem Verzug Gefahr für die Partei verbunden ist. Das Endurteil darf erst erlassen werden, nachdem die für die Beseitigung des Mangels zu bestimmende Frist abgelaufen ist. § 57 Prozesspfleger (1)
Soll eine nicht prozessfähige Partei verklagt werden, die ohne
gesetzlichen Vertreter ist, so hat ihr der Vorsitzende des
Prozessgerichts, falls mit dem Verzug Gefahr verbunden ist, auf Antrag
bis zu dem Eintritt des gesetzlichen Vertreters einen besonderen
Vertreter zu bestellen. (2) Der Vorsitzende kann einen solchen Vertreter auch bestellen, wenn in den Fällen des § 20 eine nicht prozessfähige Person bei dem Gericht ihres Aufenthaltsortes verklagt werden soll. Ein Vergleich der heutigen ZPO mit der Urfassung (CPO) zeigt: - § 51 ZPO entspricht dem § 50 CPO - § 52 ZPO entspricht dem § 51 CPO - § 54 ZPO entspricht dem § 52 CPO - § 55 ZPO entspricht dem § 53 CPO - § 56 ZPO entspricht dem § 54 CPO - § 57 ZPO entspricht dem § 55 CPO Wenn man die doch wohl nicht vergleichbare politische Situation und den Erkenntnisfortschritt der psychiatrisch/psychologischen Wissenschaften zwischen 1879 und 2011 in Betracht zieht, stellt sich die Frage nach der Auslegung dieser unverändert überkommenen Vorschriften. Nachfolgend wird aufgezeigt und diskutiert, inwieweit die Richter (des RG und BGH) bei ihren Auslegungen dem Geiste der jeweiligen Zeit folgten und nicht, dies interessiert hier besonders, den Kern des GG, das ja das Individuum in Überwindung des Obrigkeitsstaates in den Mittelpunkt rückt, verfehlten. Anmerkung 1 zur Verweisung auf den § 104 BGB: Bereits 1880 stellt Hahn (Gesammelte Materialien zur Civilprozeßordnung, S.166 ff) fest: "Die Prozeßfähigkeit ist ein Ausfluß der Handlungs- und Dispositionsfähigkeit. Wer handlungsfähig und wer dispositionsfähig ist, bestimmt das bürgerliche Gesetzbuch." Hahn fährt fort: Nicht prozeßfähig seien "physische Personen, welche keinen Willen haben, wie Kinder, Geisteskranke etc." Tatsächlich wird in der nachfolgenden Literatur daran festgehalten, daß der mit dem BGB am 1.1.1900 in Kraft getretene § 104 BGB bestimmend für die ZPO (heute § 52 ZPO) ist, um mit Hahn zu sprechen: § 52 ZPO ist "Ausfluß" des § 104 BGB, denn - § 104 Satz 2 BGB lautet: "Geschäftsfähig ist, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist." und- der § 52 ZPO bezieht sich auf den § 104 BGB folgendermaßen: "Eine Person ist insoweit prozessfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann." Zur Entwicklung der Vorschrift siehe Lexetius Dem gegenüber völlig offen blieb jedoch die Vorschrift des § 56 Satz 1 der ZPO: Das Gericht hat den Mangel der Parteifähigkeit, der Prozessfähigkeit, der "Legitimation eines gesetzlichen Vertreters und der erforderlichen Ermächtigung zur Prozessführung von Amts wegen zu berücksichtigen." Der Gesetzgeber schwieg zu dem hier interessierenden Fall, in dem die Geschäftsfähigkeit nicht in Zweifel gezogen wird, sondern allein die Prozeßfähigkeit mit der Folge, daß diese Regelungslücke durch Richterrecht geschlossen wurde, was mehrfache Unstimmigkeiten mit sich brachte, deren wichtigste sind: 1. "zu berücksichtigen" wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung so ausgelegt, daß das Gericht "von Amts wegen alle in Betracht kommende Erkenntnisquellen auszuschöpfen" hat (BGH, NJW 1996, 290). Im Jahre 1893 herrschte noch eine andere Meinung: Von Amts wegen zu berücksichtigende Umstände bedeutete gemäß 300 Nr. 1 CPO, daß das Gericht die erforderlichen Nachweise (hier: zur Prozeßfähigkeit) verlangen, "sie also nicht selbst beschaffen soll ...., denn die Hebung der Bedenken bleibt Sache der Partei." (Friedrich Stein, Das private Wissen des Richters, 1893, S. 93). Die Prüfung der von Amts wegen zu berücksichtigende Frage der Prozeßfähigkeit bedeutet zwar auch heute noch, daß die Prüfung nicht von einer darauf gerichteten
Rüge des Beklagten abhängt, sondern daß Gerichte (auch) aus eigener Erkenntnis Zweifel am Geisteszustandes einer Partei hegen können. Ergeben sich für das Gericht dabei 'ausreichende' oder 'hinreichende' Anhaltspunkte für das Fehlen einer Prozessvoraussetzung - hier der Prozeßfähigkeit einer Partei - , so leitet es heute in aller Regel die
Prüfung ohne Beibringungsaufforderung an die betroffene Partei sogleich von sich aus ein, sprich: es ergeht ein Beweisbeschluß, mit dem eine psychiatrische Begutachtung angeordnet wird. Ausgeschöpft sind die Erkenntnisquellen - nach Meinung des BGH - zudem erst durch Beweiserhebung im Freibeweisverfahren: so sah sich z.B. ein Baden-Württembergischer Richter in Ausschöpfung seines Freibeweisrechts bemüßigt, beim staatlichen Gesundheitsamt Auskünfte über etwaig bereits vorliegende Vorgutachten einzuholen um dies dem Gutachter mitzuteilen, der dann sein Gutachten möglicherweise auf diese Vorgutachten, die oft in einem völlig anderen Zusammenhang erstellt wurden, aufbaut. Daß eine solche Totaldurchleuchtung der Persönlichkeit des Probanden im Freibeweisverfahren problematisch ist, liegt auf der Hand, nicht zuletzt auch deshalb, weil regelmäßig der sog. Schulterschlußeffekt zum Tragen kommt, die Hemmung eines psychiatrischen Gutachters also, sich einem Kollegen gegenüber kontradiktorisch zu verhalten. Als beredtes Beispiel mag der Schulterschluß zwischen den Psychiatern Nedopil und Leipziger im Verfahren Mollath dienen. Gegen den Freibeweis ist eingewendet worden, daß unter Amtsprüfung keine uneingeschränkte Untersuchung im Sinne des Untersuchungsgrundsatzes verstanden werden kann (Engelmann-Pilger, NJW 2005, 717; ebenfalls Oda, ZZP 110 (1997), 114), denn dann wäre die als zwingend angesehene Hinweispflicht aus § 139 Abs.3 ZPO überflüssig. Grundlegende Kritik an der seit dem BGH-Urteil vom 12.01.1951 herrschenden Meinung, daß bei der Feststellung von Prozeßvoraussetzungen - somit auch der Prozeßfähigkeit einer Partei Freibeweis herrsche leiferte Egbert Peters beretis 1992 (Der sogenannte Freibeweis im Zivilprozeß). Liegt der Partei nun ein Untersuchungsanordnung vor, ist sie gehalten, mitzuwirken. Weigert sie sich, sich der psychiatrischen Exploration zu unterziehen, kommt es auf die Gründe der Verweigerung an, will man nicht sofort als prozeßunfähig erklärt werden, nachdem man sich dem Nachweis eigenen Prozeßfähigkeit zwecks Ausräumung der richterlichen Zweifeln entzog. Zur Begründung, die angeordnete psychiatrische Begutachtung zu verweigern, könnte vorgetragen werden: - das Gericht hat nicht alle übrigen Erkenntnisquellen ausgeschöpft, - seine Zweifel waren nicht hinreichend begründet - erscheinen somit willkürlich, - die Eignung des Sachverständigen ist nicht dargetan, zum Beweis wird ein Privatgutachten vorgelegt. Grundsätzlich gilt allerdings: Die objektive Beweisführungslast im Zivilverfahren - also auch in der Frage der Prozeßfähigkeit beider Parteien - trifft unverändert den Kläger, dies mit dem Risiko des non liquet, was heißt: können die Zweifel des Gerichts nicht ausgeräumt werden, gilt die Partei als prozeßunfähig. Zu den Folgen siehe unter (2.). Nicht unzulässig und sogar aus strategischem Grunde angeraten ist, daß die betroffene Partei ein Privatgutachten über ihren Geisteszustand beibringt. Wirkung wird dieses allerdings nur zeitigen, wenn es von einem hochkarätigen Sachverständigen stammt (und dies ist u. a. eine Geldsache, wenn man überhaupt einen findet, denn fast alle gerichts-bekannten Sachverständigen lehnen Privatbegutachtungen zwecks Vorlage bei Gericht ab). 2. Im Falle des non-liquet (keine eindeutige Klärung der "Zweifel") bleibt die Partei zwar geschäftsfähig, nicht jedoch prozeßfähig - hM, jedoch strittig. 3. Bei der Offizialprüfung der Geschäftsfähigkeit herrscht Strengbeweis, bei der Prüfung der Prozeßfähigkeit ist Freibeweis zulässig (hM, jedoch gleichfalls strittig). Faktisch findet nämlich ein Inquisitionsverfahren statt, mit starker Ähnlichkeit zum Offizialverfahren im Strafrecht, in dem die Offizialmaxime herrscht. In den gesammelten Materialien zu der Civilprozeßordnung vom 30.Januar 1877 (Neudruck der Ausgabe Berlin 1881, 1983, Stegemann/Hahn, S. 170) heißt es zum § 54: "Er überweist daher diese Punkte der Offizialprüfung durch das Prozeßgericht." Unter 'Offfizialprüfung' ist die "Prüfung von Amts wegen" zu verstehen. Sowohl im Strafverfahren als auch im sog. Zulassungsstreit steht der Staat dem Bürger unmittelbar gegenüber, er wird gewissermaßen zur Gegenpartei, die hier freilich im öffentlichen Interesse handeln soll. Deshalb aber sollte gelten, daß sich das Gericht nicht, wie sonst im Zivilprozeß, mit der sog. 'prozessualen Wahrheit' begnügen darf, sondern sich vielmehr um die unbedingte Wahrheit (hier: bezüglich der Geisteszustands der betroffenen Partei) zu bemühen hat! Spätestens hier - vor dem Hintergrund der garantierten Grundrechte des betroffenen Bürgers - wird also die Einzigartigkeit des Zulassungsstreits (Beweiserhebung bei fraglicher Prozeßfähigkeit) im privatrechtlichen Zivilprozeß deutlich. |