.
Die Wiedergabe dieser Veröffentlichung
aus der JURISTENZEITUNG (Heft 15/16/1967, S.457-463) an dieser Stelle erfolgt
mit freundlicher Genehmigung sowohl der Redaktion (Tübingen) vom 24.4.1998,
als der Witwe des Autors, Frau Dr. A. Fechner-Mahn, Tübingen, vom
27.4.1998. Prof. Dr. Dr. Erich Fechner leitete das Institut für Arbeits-
und Sozialrecht an der Universität Tübingen. Er war ebenfalls
Mitglied des Wissenschaftlichen Rats der Internationalen Gesellschaft für
Vitalstoff-Forschung und Zivilisationskrankheiten, wie Dr. J. G. Schnitzer,
Herausgeber der "Dr. Johann Georg Schnitzer's Geheimnisse der Gesundheit".
Wirtschaftliche Interessen (II)
und das Recht der freien Meinungsäusserung
zugunsten des Allgemeinwohls
(insbesondere in Fragen der Volksgesundheit)
.
.
Eine rechtssoziologische Betrachtung
zugleich auch über den
Einfluss wirtschaftlicher Interessen
auf wissenschaftliche Meinungsbildung
Teil II
.
.
von Prof. Dr. Dr. ERICH FECHNER, Tübingen
.
.
Zum Anfang mit
Kapitel I bitte hier anklicken
.
.
II.
.
1. Der Staatsbürger, der sich
die Wahrung des Allgemeinwohls durch Orientierung und Alarmierung der öffentlichen
Meinung zur Aufgabe macht, hat mit der Empfindlichkeit der dabei Angegriffenen
zu rechnen. Er kann nämlich sinnvoll nur tätig werden, wenn er
Personen wie Sachen beim Namen nennt, weil allgemeine Hinweise bekanntlich
nicht ernst genommen werden und im Vielerlei der öffentlichen Erörterungen
untergehen. Nicht nur im politischen, auch im wirtschaftlichen Bereich
sind die Fälle nicht selten, in denen die Betroffenen dem Kritiker
solchen Wagemut übel heimzahlen. Auch angesehene Unternehmen scheuen
dabei vor massivem Druck, öffentlichem Rufmord und sonstigen illegalen
Praktiken nicht zurück (7). Wer die Legalität vorzieht, wird
erfahrungsgemäß versuchen, den Kritiker durch Schadensersatzprozesse
(oder schon durch Androhung solcher) mundtot zu machen, oder ihn strafgerichtlich
wegen Beleidigung usw. zu belangen.
.
Gegenüber solchen (an sich legalen) Angriffen
kann sich der Staatsbürger auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung
aus Art. 5 I GG berufen, das seine strafrechtliche Konkretisierung
im Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB findet. Danach ist zunächst
jede Kritik gerechtfertigt, die tadelnde Urteile über wissenschaftliche,
künstlerische oder gewerbliche Leistungen enthält, wenn sich
nicht aus der Form oder aus den Umständen der Kritik die Beleidigungsabsicht
ergibt. Die Bedeutung des Grundrechts erschöpft sich freilich nicht
in der verfassungsrechtlich und strafrechtlich privilegierten Freiheit
des Bürgers zur Kritik. Eine wesentliche Funktion der Meinungsfreiheit
besteht vielmehr seit jeher darin, daß sie denjenigen eine Waffe
bietet, denen andere Machtmittel zur Verteidigung ihrer Rechte und rechtlich
anerkannter Interessen gegen schädliche Eingriffe nicht zur Verfügung
stehen. In dieser Schutzfunktion ist die freie Meinungsäußerung
ein notwehrähnliches Recht, und sie erhält wie die Notwehr ihre
besondere Rechtfertigung aus der rechtlich anerkannten Schutzbedürftigkeit
der Güter und Interessen, die gegen rechtswidrige Angriffe verteidigt
werden. Daß eine Meinungsäußerung als Notwehr gerechtfertigt
sein kann, erkennt der Gesetzgeber ausdrücklich an, wenn er in §
193 DtGB die Rechtswidrigkeit solcher ehrverletzender Äußerungen
ausschließt, "welche zur ... Verteidigung von Rechten ... gemacht
werden" (8).
.
Ein solches Recht, dessen Verteidigung durch Meinungsäußerung
gerechtfertigt wird, ist auch das Recht auf Gesundheit, das sich
aus dem Grundrecht des Art. 2 II GG auf körperliche Unversehrtheit
ergibt. Daher ist jede Meinungsäußerung gerechtfertigt, die
nach allgemeinen Notwehrvoraussetzungen erforderlich ist, um einen gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen, also auf die eigene
Gesundheit oder die der anderen abzuwenden. Unstreitig dürfte zunächst
sein, daß es sich beispielsweise bei dem Zusatz gesetzlich verbotener
Chemikalien zur "Aufbesserung" von Lebensmitteln um einen gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriff auf die Gesundheit handelt. Ein solcher liegt auch
vor, wenn Gesundheitsgefährdungen durch Zusätze (oder in einer
anderen Weise) entstehen, die zwar nicht ausdrücklich verboten, jedenfalls
aber auch nicht zugelassen sind.
.
Schwieriger ist die Feststellung der Notwehrvoraussetzungen
in den Fällen, in denen der Gesetzgeber aus vermeintlicher wirtschaftlicher
Notwendigkeit Gesundheitsgefährdungen direkt gestattet, beispielsweise
die (wenn auch befristete) Verwendung bestimmter Konservierungsmittel,
oder wenn ein nach der Gewerbeordnung genehmigter Betrieb dennoch Gesundheitsgefährdungen,
beispielweise durch Abgase, mit sich bringt. Die betreffenden Firmen werden
sich in diesen Fällen auf die Genehmigung berufen können und
sind daher schwerlich rechtswidriger Handlungen zu bezichtigen, es sei
denn, der betreffende Betrieb verstoße gegen die im Interesse der
Volksgesundheit gemachten Auflagen.
.
Nicht unproblematisch ist die Feststellung eines
gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen,
die die Verwendung von Stoffen, die in gesundheitlicher Hinsicht verdächtig
sind, vorschlagen oder rechtfertigen wollen. Zwahr kann es sich hier durchaus
um einen rechtswidrigen Angriff handeln, aber die Gegenwärtigkeit
desselben könnte u. U. mit dem Hinweis abgelehnt werden, daß
eine solche Veröffentlichung noch keine unmittelbare
Gefahr
für das Rechtsgut Gesundheit mit sich bringt, die unbedingt jetzt
abgewehrt werden muß. Dies kann aber nicht uneingeschränkt gelten.
Es sind Fälle denkbar, bei denen durch Veröffentlichungen oder
Gutachten ein rechtswidriger Zustand verfestigt oder eine Gefahr erst
geschaffen wird, gegen die spätere Abwehrversuche hoffnungslos sind,
nachdem etwa auf Grund eines Gutachtens schwer aufhebbare Maßnahmen
durch Gesetzgebung oder Verwaltung getroffen wurden. In diesen Fällen
ist das Vorliegen der Notwehrvoraussetzungen zu bejahen. Gegenüber
den aufgezeigten rechtswidrigen Angriffen ist die Verteidigung zulässig,
die erforderlich ist, um den Angriff abzuwehren. Die Erforderlichkeit
muß sowohl in Beziehung auf die Abwehrhandlung überhaupt wie
auch nach Art und Maß der Verteidigung gegeben sein (9).
.
Es fragt sich nun, wie sich der Staatsbürger
unter Beachtung dieser Grundsätze verhalten soll. Er hat zunächst
die Möglichkeit, sich an die zuständigen Stellen mit Anfragen,
Eingaben, Anträgen u. ä. zu wenden. Sucht er nach einem anderen
Weg, etwa, weil wiederholte Eingaben unbeachtet blieben, so liegt es nahe,
den Gefahren durch Appell an die Öffentlichkeit entgegenzuwirken.
Dabei aber geht er das Risiko ein, daß die von ihm gewählte
Art der Abwehr als nicht erforderlich angesehen wird. Dieses Risiko ist
indessen aus zwei Gründen auf ein Mindestmaß zu beschränken.
Einmal ist es anerkannter Rechtsgrundsatz, daß die Möglichkeit
der Anrufung staatlicher Stellen die Erforderlichkeit anderer Abwehrhandlungen
nicht generell ausschließt (10). Zum anderen stimmen Lehre und Rechtsprechung
darin überein, daß dasjenige Abwehrmittel gewählt werden
darf, welches die Beseitigung der Gefahr auch wirklich gewährleistet
(11). Wenn nun auch unter mehreren verfügbaren Mitteln das am wenigsten
einschneidende gewählt werden soll, so darf doch nicht verkannt werden,
daß gerade in den hier interessierenden Fällen die staatlichen
Instanzen infolge der Einwirkung wirtschaftlicher Interessen häufig
versagen und deshalb nur durch Unterrichtung und Mobilisierung der Öffentlichkeit
eine wirksame Abwehr möglich ist, ja die staatlichen Stellen selbst
bisweilen nur auf diesem Wege an die Erfüllung ihrer (sozialstaatlichen)
Pflichten erinnert werden können. Eine andere Beurteilung würde
zu einer erheblichen und nicht billigenswerten Einschränkung der Abwehrmöglichkeiten
führen.
.
2. Das Recht, Mißständen durch öffentliche
Meinungsäußerung entgegenzutreten, ist indessen nicht auf den
Bereich der Notwehr und deren strenge Voraussetzungen beschränkt.
Verletzung fremder Interessen und Rechtspositionen durch Meinungsäußerung
ist auch dort gerechtfertigt, wo die Äußerung lediglich in der
Ausübung und zum Schutz berechtigter Interessen erfolgt. Dieser Grundsatz
ist nicht nur für das Strafrecht in § 193 StGB als Rechtfertigungsgrund
positiviert, er ist auch im Zivilrecht über den engen Bereich des
§ 824 II BGB hinaus längst anerkannt und durch eine umfangreiche
Judikatur präzisiert (12).
.
Anders als die Notwehrlage setzt die Wahrnehmung
berechtigter Interessen keinen unmittelbar gegenwärtigen rechtswidrigen
Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut voraus. Es genügt, daß
die Verfolgung der Interessen vom allgemeinen Rechtsempfinden gebilligt
wird (13). Daher kann eine Kritik an bestimmten Zuständen oder an
einem bestimmten Verhalten aus Sorge um die Erhaltung der Volksgesundheit
auch dann gerechtfertigt sein, wenn sich ein unmittelbarer rechtswidriger
Angriff, eine aktuelle Gefährdung des Rechtsguts der Gesundheit, nicht
objektiv nachweisen läßt. Gerechtfertigt sein kann daher auch
eine an sich ehrverletzende Kritik an wissenschaftlichen Veröffentlichungen
oder Gutachten, in denen gesundheitsgefährdende Auffassungen vertreten
werden, wenn sich nicht oder nicht sicher feststellen läßt,
ob oder in welcher Weise der Einfluß solcher Veröffentlichungen
oder Gutachten zu gesundheitsschädlichen Auswirkungen führen
wird.
.
Freilich ist eine solche Kritik, auch wenn sie
dem ohne Zweifel rechtlich schutzwürdigen Interesse an der Erhaltung
der Volksgesundheit entspringt, nicht schlechthin zulässig. Die Wahrnehmung
berechtigter Interessen wird in Rechtsprechung und Lehre von einer Reihe
von Voraussetzungen abhängig gemacht, deren Schranken die freie Meinungsäußerung
nicht überschreiten darf. So wird von einem Teil der Lehre und von
der älteren Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß nur
eigene Interessen des "Beleidigers" als schutzwürdig i. S. des §
193 StGB anzusehen ist (14). Nun erfolgt öffentliche Kritik aus Sorge
um die Erhaltung der Volksgesundheit in erster Linie im Allgemeininteresse.
Sie liegt aber auch zugleich im Interesse des Kritikers selbst, der durch
die Verbreitung gesundheitsschädlicher Lebensmittel ebenso selbst
gefährdet ist wie alle anderen Bürger. Hinzu kommt, daß
sich die überwiegende Lehre und die Rechtsprechung des BGH
zunehmend dafür aussprechen, daß auch die Wahrnehmung der Interessen
der Allgemeinheit durch den einzelnen rechtfertigend im Sinne des
§ 193 StGB wirkt (15). So hat jüngst der BGH im Pätsch-Urteil
v. 8.11.1965 (16) ausgeführt: "Einen Gesetzes- und insbesondere einen
Verfassungsverstoß kann jedermann ... wie jeden Mißstand im
öffentlichen Leben mit dem Ziele der Beseitigung rügen; das ergibt
sich aus dem Grundsatz der freien Meinungsäußerung (Art. 5 I
GG). Der verantwortungsbewußte Staatsbürger sieht darin nicht
nur ein Recht, sondern einen Aufruf tätiger Mitarbeit am Staate".
.
Gerechtfertigt ist nicht nur die Wahrnehmung von
Interessen der Allgemeinheit, sondern grundsätzlich auch die öffentliche
Meinungsäußerung
im Allgemeininteresse. Das wird entgegen früheren Auffassungen, nach
denen nur ausnahmsweise die Unterrichtung der Öffentlichkeit geboten
sein soll (17), heute zunehmend von der am Wertgehalt des Art. 5 GG orientierten
Rechtsprechung anerkannt, und zwar auch dann, wenn mit der öffentlichen
Meinungsäußerung notwendig erhebliche Eingriffe in die private
oder gewerbliche Rechtssphäre anderer verbunden sind. So führt
der BGH im Urteil v. 17.11.1964 (18) aus: "Angesichts der öffentlichen
Bedeutung der Angelegenheit war bei der gebotenen Interessenabwägung
eine scharfe, dem Ruf und den gewerblichen Interessen der Klägerin
nachteiligeKritik, die die Frage der strafrechtlichen Zulässigkeit
der Aktion aufrollte, durch das Recht der freien Meinungsäußerung
(Art. 5 GG) gedeckt ... Dieser Kritik der Öffentlichkeit müssen
sie (die Kläger) sich in der Auseinandersetzung stellen".
.
Daß die Wahrung des Allgemeininteresses
die Unterrichtung der Öffentlichkeit geradezu gebieten kann, klingt
im Lüth-Urteil des BVerfG (19) an, wo es heißt: "Das Recht der
Meinungsäußerung hat vor allem dort Bedeutung, wo von dem Grundrecht
nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzungen Gebrauch gemacht wird, der
Redende vielmehr in erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung
beitragen will, so daß die etwaige Wirkung seiner Äußerungen
auf den privaten Rechtskreis eines anderen zwar eine unvermeidliche Folge,
aber nicht das eigentliche Ziel der Äußerung darstellt".
.
Von der Rechtsprechung wird weiterhin verlangt,
daß derjenige, der die Wahrnehmung berechtigter Interessen für
sich in Anspruch nimmt, sich vor Äußerung seiner Kritik gewissenhaft
informiert und sich nicht leichtfertig auf haltlose Vermutungen verläßt
(20). Informationsquellen und Unterlagen müssen auf ihre Zuverlässigkeit
geprüft werden (21).
.
Die Grenzen dieser Informationspflicht sind freilich
nicht leicht zu bestimmen und können von Fall zu Fall sehr verschieden
liegen. So ist die Verantwortung um so größer, je schwerer und
folgenreicher durch die Äußerung in fremde Interessen eingegriffen
wird, je umfangreicher etwa der Leser-, Hörer- oder Kundenkreis ist,
dem die Kritik zugänglich gemacht wird (22).
.
Andererseits dürfen aber die Anforderungen
an die Informationspflicht auch nicht überspannt werden. Das gilt
insbesondere dann, wenn die Kritik in Wahrnehmung öffentlicher
Interessen erfolgt (23). Die Rechtsprechung hat jedenfalls für den
Bereich der öffentlichen Kritik durch die Presse darauf hingewiesen,
daß die Wahrheit von Nachrichten und Behauptungen nicht nach den
Maßstäben gerichtlicher Wahrheitsermittlung festgestellt zu
werden braucht, vielmehr eine Nachprüfung mit "pressemäßiger",
d. h. berufsmäßiger Sorgfalt genügt (24). Ist eine Aufklärung
dennoch nicht möglich, so kann es gerade die öffentliche Funktion
der Kritik rechtfertigen, einen durch Einzeltatsachen belegten Verdacht
zu äußern, um auf diese Weise eine Aufklärung herbeizuführen
(25).
.
Was für die Presse auf Grund ihrer öffentlichen
Aufgabe gilt, muß ebenso für den einzelnen gelten, der in Erfüllung
seiner staatsbürgerlichen Pflicht sich zum Sachwalter öffentlicher
Interessen macht. Die modernen Verhältnisse weisen sowohl in organisatorischer
als auch in technischer Hinsicht einen hohen Grad von Kompliziertheit auf,
der es dem Außenstehenden in den meisten Fällen unmöglich
macht, alle Grundlagen und Hintergründe gefährlich erscheinender
Situationen zu überschauen und aufzudecken, obschon die Gefahr deutlich
spürbar oder gar offenkundig ist und die Dinge dringend einer öffentlichen
Diskussion bedürfen. Würde man die Informationspflicht des einzelnen,
der öffentliche Belange verteidigt, überspannen, so würde
das dem Bürger die Verwirklichung seiner staatsbürgerlichen Rechte
und Pflichten unmöglich machen, ihm praktisch die Hände binden
und ihn zur Passivität verurteilen, die gerade als die empfindlichste
Schwäche der (insbesondere deutschen) Demokratie bezeichnet wird.
Es muß daher als genügend angesehen werden, wenn der Staatsbürger
alle ihm erreichbaren Daten gewissenhaft prüft. Kommt er trotz aller
Sorgfalt zu einer objektiv falschen und unhaltbaren Meinung, so bleibt
seine Äußerung dennoch zulässige Ausübung des
Grundrechts aus Art. 5 I GG (26). Der Schutz des § 193 StGB darf ihm
wegen leichtfertiger Verletzung der Informationspflicht nur dann versagt
werden, wenn er bei gewissenhafter, ihm möglicher und zumutbarer Prüfung
hätte erkennen müssen, daß die Unterlagen für seine
Behauptung unzuverlässig oder unzulänglich sind.
.
Ob eine Kritik sich auf die Wahrnehmung berechtigter
Interessen berufen darf, ist schließlich von einer letzten wesentlichen
Voraussetzung abhängig, nämlich von einer Abwägung zwischen
den Rechten und Interessen, in die durch die Äußerung eingegriffen
wird einerseits und jenen Gütern, die durch die Äußerung
verteidigt werden sollen, andererseits. Wenn auch von der überragenden
Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) auszugehen
ist (27), so darf doch der Eingriff in seiner Schwere nicht außer
Verhältnis zum Wert dessen stehen, was durch den Eingriff geschützt
oder gefördert werden soll (28). Bei dieser Abwägung fällt
- wie die Rechtsprechung mehrfach betont hat (29) - das Recht auf öffentliche
kritische Meinungsäußerung um so mehr ins Gewicht, je größer
die Bedeutung der erörterten Angelegenheit für die Allgemeinheit
ist. So kann besonders das Interesse an der Erhaltung der Volksgesundheit
eine scharfe, in die Sphäre der Betroffenen tief eingreifende Kritik
rechtfertigen (39).
.
Dabei kann es gerade das Verhalten des Betroffenen
selbst sein, nach dem sich das erforderliche und auch zulässige Ausmaß
der Kritik richtet. So muß sich der Betroffene vor allem dann eine
scharfe Kritik gefallen lassen, wenn er in der Öffentlichkeit den
Eindruck eines nicht lauteren Geschäftsgebarens erweckt (31), wenn
der Verdacht besteht, daß seine Werbung mehr verspricht, als sie
halten kann (32) und eben auch dann, wenn der Verdacht besteht, daß
er Lebensmittel mit gesundheitsgefährdenden Zusätzen vertreibt
oder wissenschaftliche Gutachten erstellt, die unter dem Schein wissenschaftlicher
Objektivität den Interessen einer Partei dienlich und geeignet sind,
eine Schädigung des Gemeinwohls zu verdecken.
.
Daß die öffentliche Kritik auf einer
unparteiischen, von eigensüchtigen Interessen - etwa Wettbewerbsabsichten
- freien Beurteilung beruhen, daß sie sachlich bleiben muß
und das gebotene Maß nicht überschreiten darf, braucht hier
nicht weiter erörtert zu werden (33). Ebenso ist es an sich selbstverständlich,
daß die private Ehre der Betroffenen so weit als möglich geschont
werden muß. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, daß
sich "private" Ehre und geschäftlicher oder wissenschaftlicher Ruf
oft nur schwer auseinanderhalten lassen. Der Betroffene, dessen geschäftlicher
Ruf zu Recht kritisiert wird, muß sich daher unter Umständen
als Folge dieser Kritik auch eine Beeinträchtigung seiner persönlichen
Ehre gefallen lassen (34).
.
Zur Fortsetzung
- Kapitel III - bitte hier anklicken
|